Bravo hits 10 (1995)

Foto: BMBF-Projekt Musikobjekte der populären Kultur

Das jahrzehnt der compilation-discs

Die Veröffentlichungen in der Reihe Bravo Hits zählten in den Neunzigern zu den wichtigsten popkulturellen Angeboten auf dem deutschsprachigen Musikmarkt. Die dort vorgenommene Zusammenstellung von Charthits erreichte eine große Anzahl von jungen Hörer*innen. Die Compact Disc (CD), in den 1980er-Jahren noch ein Produkt, das einem kaufkräftigen Publikum vorbehalten war, wurde in den 1990er-Jahren zu einem Alltagsgegenstand, der ein flüchtiges Hören in unterschiedlichen Lebenslagen ermöglichte.  

Das Dossier ist in drei Abschnitte geteilt. Sie können es mithilfe der Buttons entweder chronologisch oder thematisch lesen. Eine Infobox zu Bravo Hits und dem deutschen Musikmarkt bietet zusätzliche Hintergrundinformationen.

die compact discs im detail

Abb. 1: ​ Die Compact Disc Bravo Hits.
Foto: BMBF-Projekt Musikobjekte der populären Kultur

Die Beschriftung des bedruckten Labels der Compact Discs ist noch gut lesbar. Die CDs enthalten jeweils einen grafischen Hintergrund (CD 1: blau, CD 2: pink) und davor im unteren Abschnitt den Reihentitel und die CD-Nummer in großer Schrift. Rechts finden sich zudem verschiedene Logos und Formulierungen; der Aufdruck gibt etwa Auskunft über den CD-Typ (CD-DA), die Urheberrechtssicherung (»GEMA/BIEM«), zu den involvierten Labels und zur Artikelidentifikationsnummer der Bravo Hits 10 (»9548-33602-2«). In der BCA finden sich zudem der Barcode zu der Artikelidentifikationsnummer sowie die Matrix-Nummer (CD1: »954833601-2/1 WME«, CD 2: »954833602-2/2 WME«) und ein SID-Code (Source IdentificationCode), der den Hersteller des CD-Masters ausweist (»IFPI L011«) sowie weitere Informationen zu Hersteller und Presswerk. Diese Angaben gehören zur Standardisierung der Compact Disc im Rahmen der Richtlinien der Internationalen Föderation der Phonographischen Industrie (IFPI); sie werden für die Compact-Disc-Produktion von Philips vergeben (vgl. Anonym o. J.: 5). Die Logos und Hinweise kennzeichnen beide Compact Discs damit als digitalen Audio-Handelsartikel in Serienproduktion, für welche internationale Produktions- und Urheberrechtsansprüche gelten.

Die Hülle der Compact Discs besteht aus drei Teilkörpern, die über Scharniere miteinander verbunden sind: eine rechteckige Rückseite aus transparentem, klarem Plastik, ein rechteckiger Deckel aus demselben Material, in den auch Cover und Booklet eingelegt sind, und ein Plastikrahmen, mit Halterung für die CD (häufig aus anthrazitfarbenem, leicht profiliertem Kunststoff, der sog. Tray). Die Doppelhülle ist eine Abwandlung der Standard-CD-Verpackung (Jewelcase, seit 1982, vgl. Doodson 2002: 86) und wird deshalb auch Doppel-Jewelcase genannt (schmale 2-CD-Hüllen werden hingegen Brillant Box genannt). Anders als bei regulären Jewelcases geschieht die Fixierung der CDs bei der Hülle von Bravo Hits 10 nicht über einen Ring von beweglichen Zähnen, sondern einen beidseitig verwendbaren Plastikring mit Öffnungen (vgl. Abb. 1). Auf die zwei CDs im Inneren verweist neben dem Cover auch der gedruckte Hinweis »2 CD« auf dem geriffelten Rahmen. Die Hülle ist insgesamt in gutem Zustand, mit einigen Spuren durch häufige Nutzung .

Cover, Booklet und Beschriftung: Bravo Hits 10 wird komplettiert durch ein umfangreiches Booklet (auf dem Cover »Songbook« genannt), dessen Umschlag zugleich als Cover für die Hülle dient. Es ist in den Halterungen des Deckels fixiert. Das Gegenstück ist ein beidseitig farbiges Einlegeblatt (Inlay) im Bodenteil der Hülle, auf dessen Rückseite (also nach außen sichtbar) die Songs sowie Produktinformationen abgedruckt sind (vgl. Abb. 1). Das verwendete Material für die Textbeilagen ist ein festes Hochglanzpapier. Es ist grifffest und hat strahlende Farben. Das farbenfrohe Design dieser Bravo Hits-Ausgabe stammt von der Hamburger Werbeagentur U-Agency (ab 1998: United), die für das Artwork Fotos von Christian Bruch zu Collagen zusammengestellt hat. Vieles ist auffällig an diesem Cover: das Überangebot an Informationen von Hinweisen und Teasern, die grelle Werbewirkung oder das florale Muster, das Fotografien von Sonne- und Mond-Figuren, Herzen und anderen farbigen Oberflächen verbindet. Diese Gestaltung findet sich auch auf der Rückseite des Songbooks und im Inlay. Die Rückseite des Covers zeigt nicht nur die Songs auf einen Blick, und bietet so im Musikladen eine Hilfe zur Kaufentscheidung, sondern deutet indirekt auch bereits die komplexe Produktionslogik der CD-Reihe an. Das Songbook der Bravo Hits 10 hat 10 Seiten, die jeweils beidseitig farbig bedruckt sind. Es beginnt mit zwei Seiten, auf denen die jeweils auf CD 1 und CD 2 enthaltenen Songs mit Urheberrechtshinweisen abgedruckt sind. Dort finden sich unter anderem Informationen zu Urheber*innen, Verlag, Produktionsjahr und weiteren Hinweisen, die auf eine komplexe Produktionslage hindeuten. Das Songbook enthält ausgewählte Songtexte und Zitate bekannter Persönlichkeiten. Vier Songtexte sind abgedruckt und jeweils übersetzt.

Die Reihe Bravo Hits positioniert sich mit diesen Zitaten, den Übersetzungen, der Farbgestaltung, ihren Designverweisen und der Typographie (die einer jugendlichen Handschrift ähnelt) sowie den impliziten Verweisen auf ihre multimediale Rahmung (Werbung, Musikvideos, Daily Soaps) in den popkulturellen Alltagswelten von Jugendlichen im deutschsprachigen Raum. Die internationale Musik der Compilation wird hierbei verbunden mit einer zeitgenössischen Bildsprache, die ob ihrer Üppigkeit und Schrillheit auf jugendliche Bedürfnisse abgestimmt zu sein scheint (beispielsweise 3D-Animationen, Batikmuster oder Verweise auf Comicfiguren). Die CD weist damit eine klar konturierte Identifikationsfläche als potenzieller Kaufgegenstand (Cover) auf und bietet eine rasche Kaufhilfe (Rückseite) sowie einige Zusatzangebote an, die vor allem im Wettkampf der Compilations untereinander in den 1990er-Jahren eine Rolle spielten.

Abb. 2: ​ Auf der Rückseite verschiedener Compact Discs sind die regenbogenfarbenen Facetten zu sehen.
Foto: andreyalpha auf Pixabay

Ab den späten 1980er-Jahren wurde die Produktion der Compact Disc aufgrund neuer Herstellungsverfahren immer lukrativer, da sie billiger war als die der LP und gleichzeitig höhere Gewinne brachte. Sie fiel schließlich zudem mit einer »bewussten Eindämmung der Vinyl-LP seitens der CD-fördernden Phonoindustrie zusammen« (Heil 2014: 311), in Folge derer verschiedene Majorlabels in den 1990er-Jahren ihre Vinyl-Produktion beendeten.

In Deutschland war die Ausgangslage für CDs aufgrund einer Absatzkrise in der Musikindustrie in den 1980er-Jahren nicht ideal. Vor dem Hintergrund der langsamen Entwicklung des Marktes für Tonträger im Verlauf der 1980er-Jahre und insbesondere aufgrund des hohen Verkaufspreises des Mediums (Neuerscheinungen kosteten 1988 immer noch zwischen 28–35 DM, vgl. ebd.) und der entsprechenden Abspielgeräte, kam es vielmehr zu einer weichen Zäsur auf dem Tonträgermarkt im Übergang von Vinyl zu CD. Zum wachsenden Angebot an Presswerken notierte der Spiegel 1988: »Allmählich bekommen das auch die Verbraucher zu spüren. Die CD-Preise bröckeln« (Anonym 1988: 134). Diese preisliche Entspannung war eine erste wichtige Entwicklung, die auf Seiten der Kund*innen zu einer höheren Akzeptanz der neuen Tonträger führte. Philips und Sony hatten zudem bereits im Vorfeld der Einführung versucht, den Markt auf CDs vorzubereiten, beispielsweise mit dem Argument der Mobilität der neuen Tonträger, mit der einheitlichen Idee des CD-Standards aber auch mithilfe prominenter Fürsprecher*innen (vgl. Lang 1996: 65 ff.). Und auch die Musikindustrie lancierte ihre neuen Tonträger über vorgezogene Veröffentlichungsdaten (im Vergleich zur LP) oder mithilfe von Zusatzmaterial. Diese gezielt nachteilige Behandlung der LP im Vergleich zur CD sollte das langsame Ende der Vinylproduktion einläuten (vgl. Heil 2014: 311 f.). Die Einführung einer zunehmend bezahlbaren CD mit inhaltlichen Extras lieferte den Kund*innen zusätzliche Gründe für eine Abkehr von Vinyl. Dieses Momentum fiel zudem mit einer Phase des ökonomischen Aufschwungs zusammen, in deren Folge eine gestiegene Konsumkraft der Musikindustrie »bis in die 1990er Jahre den größten Boom ihrer Geschichte« (ebd.) bescherte. Für den Medienwissenschaftler Jim Rogers ist die Compact Disc deshalb sogar die wesentliche Grundlage der »decade-long period of super-profits driving global revenues to a record high of US$38.7 billion in 1999« (Rogers 2013: 16).   

Auch der Wirtschaftswissenschaftler Peter Tschmuck bezeichnet den Zuwachs der Stückumsätze ab 1991 als regelrechte ›Explosion‹ (vgl. Tschmuck 2008: 148). Dies hatte unter anderem damit zu tun, dass Käufer*innen nicht nur Neuveröffentlichungen erwarben, sondern – durchaus überraschend für die Industrie – Teile ihrer LP-Sammlungen auf CD erneut erwarben (vgl. Pendzich 2013: 347). So machten zu Beginn der 1990er-Jahre die Backkatalog-Veröffentlichungen 40 Prozent des internationalen Musikmarktes aus (vgl. Garofalo 2015: 114). Im Jahr 1988 wurden weltweit zum ersten Mal mehr CDs als LPs verkauft, ab 1993 überstiegen die Absatzzahlen der CD erstmals die der Kassette, »die vor allem in industriellen Schwellenländern lange Zeit das einzig verfügbare Tonträgerformat war« (Tschmuck 2008: 149). In Deutschland, dem damals viertgrößten Musikmarkt der Welt, kam zu Beginn der 1990er-Jahre das ad hoc vergrößerte Geschäft durch die Wiedervereinigung hinzu (vgl. ebd.). In Verkaufszahlen überholte die CD in Deutschland ab 1989 die Vinyl-LP (56,9 Mio. CDs im Vergleich zu 48,3 Mio. LPs, vgl. Schramm/Spangardt/Ruth 2017: 11). Im Jahr 1992 war dem Spiegel schließlich ein Abgesang auf die Langspielplatte zu entnehmen, in welchem nostalgisch das ›Ende einer ganzen Kultur‹ konstatiert wird: »Schon heute verkauft der Handel viermal mehr Compact Discs, in vielen Kaufhäusern werden keine LPs mehr angeboten, und in spätestens zwei Jahren wollen die meisten Hersteller nur noch CD produzieren – schwarze Scheiben allenfalls auf besonderen Wunsch« (Seidl 1992: 154). Die Verkaufszahlen der deutschen Musikindustrie – nun ganz auf die Zugkraft der CD vertrauend – blieben bis etwa 1997 stabil und ließen erst im Übergang zu den 2000er-Jahren nach, unter anderem wegen des Aufkommens von CD-Brennern (vgl. Altendorfer 2004: 132).

  Infobox bravo hits und der deutsche musikmarkt

Im Jahr 2000 war die Compact Disc der Mittelpunkt eines zunehmend hart umkämpften Musikmarktes, auf dem die Majorlabels sich für neue Veröffentlichungen zusammentaten und Händler zeitweise 300 verschiedene Compilations im Angebot führten (vgl. Spahr 2000: 12). Bereits Ende der 1990er-Jahre waren Compilations wie Bravo Hits, Dream Dance oder Megahits ʼ98 zu einem wichtigen Baustein der deutschen Tonträgerlandschaft geworden. Unter diesen ›Hit-Alben‹ ist die Reihe Bravo Hits die erfolgreichste. Sie gehört inhaltlich zur größten deutschen Jugendzeitschrift, der seit 1956 erscheinenden Bravo, und ist Teil der Verlagsstrategie des Bauer-Verlags, der das Magazin 1968 vom Axel Springer Verlag kaufte (vgl. Sjurts 2005: 136). Die Zeitschrift besitzt nicht die Rechte an der Musik, sondern leiht der Zusammenstellung nur ihren Namen und wirkt an ihrer Entstehung mit, wofür der Verlag Anteile am Gewinn erhält. Die Geschichte der Bravo Hits beginnt 1992 mit einem zunächst als Einzelausgabe geplanten Sampler auf CD, Kassette und Schallplatte, den der Warner-Manager Thomas Schenk der Redaktion vorschlug. Die Bravo schien dabei als »größte europäische Jugendzeitschrift eine gute, weil glaubwürdige Rampe« (Renner 2004: 104). Schenks Ziel war es, »eine Art Hit-Compilation« (zit. in Wolf 2018) zu erstellen, um in Konkurrenz zu den Hit-Shows der Zeit treten zu können. Anfänglicher Skepsis, zum Teil seitens der Bravo und einiger Labels, begegnete das Team mit aufwändigen Verhandlungen und Einzeldeals, die erst nach der Etablierung zu zunehmend standardisierten Verträgen wurden (vgl. Wolf 2018).            

Auch die Fans der Bravo waren zunächst zurückhaltend, die Tonträger tauchten in den Lieblingsplatte-Listen der Zeitschrift nicht auf (vgl. Dörr 2018). Dass sich dies sukzessive zum Positiven veränderte, führt Schenk auch darauf zurück, dass die Reihe ein eigenes, distinktes Design bekam (vgl. ebd.). Die Logos sind stets bunt, auffällig und dienten dazu, so Thomas Schenk, »den Zeitgeist aufzunehmen« (zit. in Wolf 2018). Als eigenes Produkt stand die Bravo Hits bis zu ihrer 100. Ausgabe (2018) 528-mal auf den höheren Positionen der Charts (vgl. Nowroth 2018) und verkaufte pro Ausgabe »mehr als 1,2 Millionen Stück« (Renner 2004: 104). In Deutschland, Österreich und der Schweiz war der Markt besonders groß. Im Jahr 2000 vermeldete der Bauer-Verlag die Aufnahme der Reihe in das Guinness Buch der Rekorde als »erfolgreichste CD-Serie aller Zeiten in Deutschland, Österreich und der Schweiz« (Anonym 2000). Die Bravo Hits wird bis heute herausgegeben. Sie hat einen dreimonatlichen Turnus, also vier CDs pro Jahr. Die Produktion werde bis heute organisiert von einem Team, das Cover, Musikauswahl und Bewerbung koordiniert und dazu auch die Werbestrategien in der Musikindustrie sowie Tourplanungen berücksichtigt. Die Faustregel sei dabei gewesen: »Was hoch in den Charts war, gehörte auf die Bravo Hits. Man musste aber genau darauf achten, welche Stücke nach der Auswahl der Songs noch zu Hits werden könnten – ausgesucht wurden sie nämlich sechs Wochen vor dem Erscheinen der CDs im Handel« (zit. in Wolf 2018).

Die Reihe Bravo Hits gehörte für unsere Interviewpartnerin Susanne Schleicher zu den wichtigsten Musikangeboten bis ins Jugendalter (vgl. Abb. 3). Geboren 1982 und aufgewachsen mit zwei Brüdern im Umland von Zürich, legte ihre Mutter Wert auf eine musikalische Grundausbildung. Sie mochte Schlager, der Vater Rock’n’Roll, und so spielte Musik früh eine Rolle in der Familie (vgl. Schleicher 2020). Alle Kinder erlernten Musikinstrumente, und die Eltern kauften früh auch verschiedene Abspielgeräte, darunter eine Stereoanlage, die im Wohnzimmer stand. Dies lag vor allem an ihrem technisch interessierten Vater, der »die Gerätschaften« ebenso anschaffte wie »auch schnell mal die CDs« (ebd.). Ihren ersten CD-Player bekam Schleicher »zum Geburtstag oder zu Weihnachten« (ebd.). Sie benutzte ihn ›rege‹ und hatte dann auch konkrete Vorstellungen, was sodann die Stereoanlage – die sie schließlich im Alter von 15 Jahren bekam – können sollte: »Die musste laut sein und viel Bass haben. [...] Denn wenn meine Eltern nicht da waren und meine Brüder haben sich gestritten, habe ich halt durchaus mal die Musik aufgedreht und gesagt: ›Das habe ich nicht gehört‹« (ebd.).

Am Kinder- bzw. Schlafzimmer, in das Jugendliche sich zurückziehen, lassen sich viele Aspekte von Jugendkulturen eingehender studieren (vgl. Lincoln 2012: 6). Insbesondere die Abschottung von jungen Frauen in ihrem Zimmer ist im 20. Jahrhundert eine wesentliche Facette einer ›Bedroom Culture‹, die für weibliche Teenager – auch für Schleicher – lange Zeit von (unterhaltenden) Printmedien geprägt war (vgl. McRobbie 1991: 86).[1] Der Kauf der Bravo Hits ist vermutlich für viele Nutzer*innen an einen Konsum von Zeitschriften und Magazinen gekoppelt gewesen. In den musikalischen Präferenzen sei die Familie Schleicher »von der Gegend her sehr nach Deutschland ausgerichtet gewesen. So Sachen wie Bravo war bei uns genauso groß wie in Deutschland« (Schleicher 2020). Zur ersten Musik gehörten für sie die »Flippers damals, EAV [Erste Allgemeine Verunsicherung, LN] und David Hasselhoff« (ebd.), aber auch die englischsprachige Musik ihrer Eltern. Sie habe selbst zunächst vor allem die Popmusik der 1990er-Jahre bewusst gehört, also beispielsweise die Boy- und Girl-Bands. Später habe sie größeres Interesse an Techno und schließlich an Metal entwickelt.

Die Bravo Hits 10 gehört neben vielen anderen Titeln der Reihe in die Sammlung von Compact Discs, die sie im Verlauf der 1990er-Jahre anlegte. Sie war Teil eines Alltags, in dem Musik sehr präsent war, beispielsweise beim Hören/Ansehen von Hitparaden in Radio und Fernsehen oder an Disko-/Partyveranstaltungen. Insbesondere »Radiohören war damals noch relativ groß« (ebd.), zum Beispiel die sonntägliche Hitparade auf dem Jugendsender DRS3, »die habe ich dann vielfach aus dem Radio auch auf Kassette aufgenommen« (ebd.). Vor allem zu Beginn der 1990er-Jahre waren Musikkassetten eine wichtige Alternative zur teuren CD. Dies hatte vor allem auch damit zu tun, dass die jungen Frauen von ihrem Taschengeld[2] verschiedene Dinge kaufen wollten – neben Musik vor allem auch Zeitschriften und Kleidung, was oft gemeinsam mit den Freundinnen getan wurde.     

Die Bravo, die man gemeinsam las, beeinflusste ihr Kaufverhalten in beträchtlichem Maße. Die dort erwähnten Sampler und Neuerscheinungen wurden von den jungen Frauen quasi umgehend gekauft: »Meistens wusste ich eigentlich relativ genau was ich haben will. Man hat gewusst, was gerade eben erst rausgekommen ist und das wollte man unbedingt haben. Dementsprechend ist man mit einer Freundin shoppen gegangen« (ebd.). Oft ging man zum Buchdiscounter Ex Libris, der zu Schleichers Jugendzeit »hoch frequentiert« (ebd.) war, meist von Jugendlichen in ihrem Alter. Die Freundinnen betraten den Laden meist mit dem Ziel, einen spezifischen Sampler oder eine Compilation – wie die Bravo Hits – zu kaufen und inspirierten sich darüber hinaus durchaus auch gegenseitig. Der Musikkauf war häufig der Endpunkt ihrer Shoppingtouren: »Man hat die ganzen Klamottenläden nebendran abgeklappert und ist dann nachher in den Ex Libris rein« (ebd.). Der Kauf von Compact Discs war damit nicht das eigentliche Ziel einer Einkaufstour, sondern eine Station in einer längeren Kette von konsumtiven Akten, die auch von der Ausrichtung der Discountgeschäfte geprägt wurden.

Schleicher und ihre Freundinnen besaßen in ihrer Teenager-Zeit alle zumindest einen CD-Player oder sogar eine Stereoanlage (vgl. Abb. 3), die sie sorgfältig behandelte. Sie habe vor allem »immer darauf geachtet, dass nicht zu viel Staub an der Stereoanlage ist« (ebd.). So kam der Wartung der Geräte vor allem mit Blick auf den Erhalt der teuren Tonträger durchaus Bedeutung zu. Schleicher besaß einen Schrank für die Tonträger, stapelte sie allerdings auch neben der Stereoanlage: »Also es kam durchaus vor, dass ich sagte: ›Ich muss jetzt etwas anderes hören, ich nehme die CD aus der Stereoanlage raus. Die Hülle ist ... keine Ahnung wo, dann lege ich sie jetzt einfach hier drauf, auf den Stapel‹«. So lagen »immer auch CDs ohne Hüllen rum« (ebd.), bei denen sie zwar grundlegend darauf geachtet habe, dass sie keinen größeren Schaden nehmen, was allerdings nicht immer gelang. In diesem Zusammenhang äußert sie bis heute auch deutlichen Unmut über die CD-Hüllen: »[W]o du es innen fest machst, die Dinger [Haltezähne, LN] sind da immer rausgebrochen [nach] zwei-, dreimal rausholen« (ebd.).            

Die typische Nutzung einer neu gekauften Compact Disc, beispielsweise einer Bravo Hits, bestand für sie darin, die CD auszupacken, einzulegen und das Booklet aus der Hülle zu holen. Das Ziel war es, »alle Lieder durch[zu]hören – aber nicht komplett, man musste ja erstmal reinhören« (ebd.). Dazu skippte sie zunächst von Track zu Track, nahm also bewusst eine Funktion in Anspruch, die mit der Compact Disc-Technologie und ihren dafür konzipierten Abspielgeräten überhaupt erst möglich geworden war bzw. die den CD-Spieler, wie von den Herstellern intendiert, als innovatives, variabel nutzbares Produkt auswies. Ziel des Durch-Skippens war es, einen ersten Eindruck davon zu bekommen, welche Lieder gefallen könnten. Im Anschluss hörte sie den Tonträger dann am Stück, später bisweilen mit einer Fernbedienung, mit der sie Songs überspringen konnte. Erheblich häufiger hörte sie ihre CDs allerdings nebenher, beispielsweise beim Lesen, sodass »dann irgendwann auch nicht mehr aufgefallen [ist], wenn ein bestimmter Song läuft« (ebd.).           

Beim ersten Reinhören spielten auch die Booklets der CDs eine Rolle, insbesondere, wenn sie ähnlich aufwändig gestaltet waren wie im Fall der Bravo Hits 10. Schleicher hatte einige favorisierte Booklets und nutzte sie beim Hören vor allem, um »die Lieder auswendig zu lernen« (ebd.). Interesse hatte sie aber auch an den enthaltenen »Fotos und Bilder[n] von der Band [...]. Die hat man sich natürlich auch immer wieder mal angeguckt, gerade bei den Boybands mit den süßen Typen. Also es gibt auch CDs, da sind die Booklets irgendwie spurlos verschwunden« (ebd.). Langfristig verlor sie allerdings das Interesse an den Booklets, vor allem, da die Bravo Hits in regelmäßigen Abständen erschienen, und die CDs zunehmend zur akustischen Begleitung für andere Hobbies im eigenen Zimmer wurden.     

Die Compilation Bravo Hits bot viele aktuelle Songs und konnte angesichts der Skip-Funktion nach persönlichem Geschmack gehört werden. Hier zeichnet sich bereits jener individualisierte Musikkonsum ab, der für den Digitaltechnologie-gestützten Musikkonsum in Verbindung mit der Diversifizierung der Abspielgeräte zu Beginn des 21. Jahrhundert kennzeichnend werden sollte (vgl. Lepa/Hoklas 2015: 1261 f.).

Abb. 3: ​Eine Aufnahme der jugendlichen Susanne Schleicher in ihrem Kinderzimmer. Links im Bild ist die Stereoanlage.
Foto: Privatarchiv, Susanne Schleicher

DAS DOSSIER WURDE VERFASST VON LAURA NIEBLING

Einzelnachweise

[1] Allerdings hat sich die Rolle dieser Schlafzimmer über das 20. Jahrhundert erheblich gewandelt. Dienten sie in den 1950er-Jahren noch dazu, junge Frauen von den ›gefährlichen Straßen fernzuhalten‹ (vgl. Lincoln 2012: 23), wurden sie in den 1990er-Jahren, in denen Schleicher auf Partys oder zum Shoppen gehen durfte, zu einem selbstgewählten Rückzugsort.
[2] Schleichers Taschengeld lag als Kind zunächst bei 50 Rappen [etwa 58 Pfenning, 1990], als Jugendliche irgendwann bei der in ihrer Klasse üblichen Summe von 50 CHF [damals, 1995, etwa 60 DM] pro Monat (vgl. Schleicher 2020).


Quellen

Literatur:
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Interviews:
Schleicher, Susanne (2020). Interview mit Susanne Schleicher, 2020.


Abbildungen

Abb. 1: ​Die Compact Disc Bravo Hits. BMBF-Projekt Musikobjekte der populären Kultur.
Abb. 2: ​Auf der Rückseite verschiedener Compact Discs sind die regenbogenfarbenen Facetten zu sehen. andreyalpha auf Pixabay.
Abb. 3: ​Eine Aufnahme der jugendlichen Susanne Schleicher in ihrem Kinderzimmer. Links im Bild ist die Stereoanlage. Privatarchiv, Susanne Schleicher.