Foto: Klaus Polkowski
1954 brachte Blaupunkt das Musiktruhenmodell Colorado auf den Markt. Zu dieser Zeit florierte das Geschäft mit repräsentativen »Musikmöbeln«, die nicht nur Musikgenuss in höchster Klangqualität gewährleisten, sondern sich zudem organisch in ein Wohnambiente einfügen sollten. In Anlehnung an Designprinzipien des sogenannten Gelsenkirchener Barocks avancierten Musikmöbel in den 1950er-Jahren zu kostspieligen Prestigeobjekten, die das Streben nach Wohlstand im ersten Nachkriegsjahrzehnt verkörperten. Doch schon bald fielen deren Gestaltung und Klangqualität der Kritik anheim. Während die stilbewusste Käuferschaft zunehmend modernere und schlichtere Designerzeugnisse einforderte, störte sich das audiophile Publikum an den als veraltet angesehenen klanglichen Möglichkeiten. Infolgedessen verschwanden Musiktruhen im Laufe der 1960er-Jahre von der Bildfläche.
Das Dossier ist in drei Abschnitte geteilt. Sie können es mithilfe der Buttons entweder chronologisch oder thematisch lesen. Zwei Infoboxen zur ästhetischen Theorie und dem Gelsenkirchener Barock bieten zusätzliche Informationen.
Das Objekt befindet sich
im Besitz des Zentrums für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg und ist der dort angesiedelten Audiogerätesammlung zugeordnet. Neben
dem Modell Colorado findet sich in der Sammlung noch ein vergleichbares Objekt,
das Modell Grazioso 4916 des Herstellers Graetz von 1960. Das Blaupunkt-Modell
gelangte durch die Schenkung einer Privatperson in die Sammlung des Instituts,
Käufer*innen und weitere Vorbesitzer*innen sind unbekannt. Das Objekt ist,
gerade aufgrund seines nahezu unversehrten Zustands, im Foyer des Instituts zu
finden, als Teil einer Sonderausstellung zum Themenkomplex Hi-Fi.
Für Phonogeräte wie das
Modell Colorado von Blaupunkt kursieren mehrere mögliche Bezeichnungen:
Bisweilen ist von Musiktruhe und Musikschrank, anderorts aber auch von
Phonoschrank oder Phonovitrine zu lesen. Diese Bandbreite an Begrifflichkeiten
mit Bezug zu Möbeln ist naheliegend, verbergen sich doch die eigentlichen
technischen Gerätschaften – in der Regel Radios und Schallplattenspieler, zum
Teil auch Tonbandgeräte – hinter Schiebetüren, Deckeln oder Klappen in häufig
massiven Korpora. Bereits in der Blütezeit dieser Musikmöbel beginnt dabei die terminologische
Unschärfe. In der Fachzeitschrift Funk-Technik war noch 1955 zu lesen, die Bezeichnungen seien »keineswegs
einheitlich« (Anonym 1955a: 439), ein
Musikschrank zeichne sich jedoch in der Regel durch die Kombination eines
Rundfunk- und Phonoteils aus, Fächer mit durchsichtigen Glastüren sprächen für
eine Musikvitrine und Gerätschaften ohne Rundfunkteil bezeichne man landläufig
als Phonoschrank oder Phonovitrine. Bezüglich unterschiedlicher
Blaupunkt-Geräte finden sich wiederum die Begriffe Konzerttruhe und
Kleinmusikschrank (Anonym 1957a: 296). Das Handbuch des Rundfunk- und Fernsehgroßhandels weist das Gerät indes
explizit als »Truhe« aus
(Verband Deutscher Rundfunk- und Fernseh-Fachgroßhändler 1995: 74), weswegen
nachfolgend der Begriff Musiktruhe präferiert wird.
Das Modell Colorado
verfügt über ein eingebautes Radio – Modell »Nizza«
von Blaupunkt –, über integrierte Lautsprecher sowie über den
Schallplattenspieler PE 3425 des Herstellers Perpetuum Ebner (vgl. ebd.), der
sich unter einem Deckel an der Oberseite verbirgt. Es handelt sich um ein
verhältnismäßig kleines Modell (Maße: 60x38,5x76,7 cm, Gewicht: 24 kg). Insofern
passt es zur Objektgruppe der »raumsparenden Truhen der
schmalen, sogenannten Konsolenform«
(Anonym 1955a: 439), die Mitte der 1950er-Jahre »zu
wirklichen Verkaufsschlagern« (ebd.) avancierten. Die Leistung
beträgt sechs Watt, dem Produktionsjahr entsprechend ist lediglich
Monowiedergabe möglich – die Einführung stereophoner Schallplatten erfolgte
erst vier Jahre später.
Das Phonoobjekt hat
grundsätzlich einen quaderförmigen Körper, wurde aber durch gerundete Kanten
sowie eine auffällige Einbuchtung auf der Vorderseite modifiziert. Die
Objektoberfläche zeichnet sich durch die Kombination verschiedener Materialien
aus. Typisch für die Gerätegattung sind die Holzflächen oben, links und rechts
sowie die Textil- und Glaselemente auf der Vorderseite. Abwechslungsreich sind
dabei die Strukturen der Teiloberflächen: Während die Textilelemente, die die
Lautsprecher verbergen, durch eine vernetzte Struktur auffallen, sind die
Holzflächen geölt und glatt, mit gedeckten Farben. Die Formen der
Benutzerschnittstellen sind divers: Es finden sich Drehräder und -knöpfe,
Drucktasten, eine Skala sowie ein Ein-/Ausschalter in runder, eckiger sowie
stab- und propellerförmiger Ausführung. Auch die typographischen
Gestaltungsweisen sind vielfältig, mit Hervorhebungen und Kursivierungen. Überdies
sind piktografische Elemente zu sehen, die bildlich auf den Verwendungszweck,
also den Musikkonsum, hinweisen – allen voran Notenschlüssel.
Trotz des Alters von über 60 Jahren weist das Objekt nur geringfügige Gebrauchsspuren auf, die auf einen pfleglichen Umgang im häuslichen Umfeld und auf wenige Standortwechsel hindeuten; die Musiktruhe befindet sich, abgesehen von minimalen Gebrauchsspuren, vermutlich im Originalzustand.
Der »Musikschrankboom«
(Anonym 1958: 530) hatte seinen Ursprung in Westdeutschland im Jahr 1953
(vgl. ebd.). Für die Produktion solch moderner Phonoobjekte herrschten in den
1950er-Jahren günstige Bedingungen. Spätestens seit den 1920er-Jahren hatte
sich eine leistungsstarke Industrie für Radios und Schallplattenspieler
etabliert, die – je nach Region – beispielsweise die Expertise auf dem Feld der
Feinmechanik, wie sie etwa im Uhrmacherhandwerk anzutreffen ist, für sich
nutzen konnte. Für die Herstellung von Musikmöbeln war nun die Zusammenführung
von Radio, Plattenspieler und Tonbandgerät in einem Gehäuse vonnöten. Mitte bis
Ende der 1950er-Jahre produzierten bereits alle großen westdeutschen Hersteller
entsprechende Objekte und das öffentliche Interesse hatte einen Höhepunkt
erreicht: Einer Umfrage im Jahr 1955 zufolge wünschten sich 23 Prozent der
westdeutschen Bevölkerung einen Musikschrank, jedoch besaßen erst 6 Prozent ein
Exemplar – drei Jahre später hatte sich dieser Wert bereits verdoppelt (vgl. Röther
2012: 102). Dementsprechend erzielte die Phonoindustrie eine hohe ökonomische
Rentabilität. 1955 verzeichneten mehrere Hersteller von Musikmöbeln eine
Umsatzsteigerung von rund 100 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (vgl. Anonym
1955a: 439), was sich 1956 allerdings nicht wiederholen ließ. Dennoch
wurden in diesem Jahr noch immer ca. 460.000 Musikschränke produziert (vgl. Anonym
1957c: 74). Wenngleich der Musikschrank, so der Historiker Hans-Ulrich
Wehler (2008: 395), in den 1950er-Jahren »zu einem klassenübergreifenden Symbol
der ›Wir haben es geschafft‹-Mentalität des Wirtschaftswunders« aufgestiegen
war, konnte er sich aufgrund der hohen Preise nicht als Abspielgerät für die
breite Masse etablieren (vgl. Röther 2012: 102).
Das Modell Colorado wurde für 499 DM angeboten (vgl. Verband Deutscher Rundfunk- und Fernseh-Fachgrosshändler 1995: 74), während das durchschnittliche Nettojahreseinkommen der westdeutschen Bevölkerung bei ca. 4.000 DM lag. Damit zählte es aber definitiv zu den günstigen Modellen, besonders extravagante Exemplare schlugen bisweilen mit Preisen von mehreren Tausend DM zu Buche. Wer also ein Musikschrankexemplar besaß, konnte mit derlei »populären Prestigeobjekten« (Zimmermann 1991: 85) den neu errungenen bzw. wiedererlangten Wohlstand in der Nachkriegszeit und zugleich die eigenen Qualitätsansprüche an die häusliche Unterhaltung demonstrieren. Die Zeitschrift Funk-Technik resümierte: »Der Besitz eines Musikschrankes dokumentiert immerhin einen gehobeneren Lebensstil, entspricht aber auch dem echten Bedürfnis des deutschen Kunden nach höchster Wiedergabequalität« (Anonym 1955a: 439).
1954 konnte der Konzern
Blaupunkt bereits auf eine mehr als 30-jährige Geschichte zurückblicken. 1923
in Berlin als Ideal-Radiotelefon- und Apparatefabrik GmbH gegründet,
konzentrierte sich das Unternehmen zunächst auf die Produktion von Kopfhörern,
ehe das Portfolio ab den 1930er-Jahren deutlich erweitert wurde. 1933 wurde der
Konzern von Bosch übernommen, fünf Jahre später erfolgte die Umbenennung in
Blaupunkt – gemäß dem schon lange verwendeten Firmenlogo. Mitte der
1950er-Jahre war das mittlerweile in Hildesheim ansässige Unternehmen im
Bereich der automobilen Klangsysteme europaweit führend, produzierte jedoch
weiterhin zahlreiche andere Typen von Abspielgeräten (vgl. Goebel 2005: 11–16;
Krebs 2005: 578).
Abb. 1: Blaupunkt-Werbeanzeige (1955).
Foto: Funkschau 13/1955, S. 278–279
1955 warb Blaupunkt
damit, vermittels neuester Phonoobjekte wie der Musiktruhe Colorado »im
Wohnraum die Illusion eines Konzertsaales mit seinen unterschiedlichen
Ausbreitungsbedingungen der hohen und tiefen Töne« erzeugen zu können und
feierte den »Triumph der Technik« (vgl. Abb. 1). Zeitgleich pries der Konzern
das neu entwickelte »3 D Raumklangsystem« (Abb. 2) an, welches eben diese
konzertante Atmosphäre in den eigenen vier Wänden gewährleisten sollte.
Tatsächlich wurden solche Novitäten auch außerhalb der spezialisierten
Fachpresse diskutiert, wovon beispielsweise ein Artikel aus dem Magazin Spiegel zeugt, der im August 1954
erschien (vgl. Anonym 1954a: 32). Die Musik, so der Titel des Berichts,
stehe dank der neuen Technik förmlich im Raum, die zugehörigen Illustrationen
im Artikel verdeutlichen die Intentionen der Produzierenden. Zu sehen ist
einerseits ein Musikerduo, bestehend aus einem Pianisten und einem Violinisten,
auf einer Konzertbühne, andererseits eine Privatperson beim heimischen Musikkonsum.
Anders als bei konventionellen Abspielgeräten sollte das 3 D Raumklangsystem
dafür sorgen, dass die Instrumentalstimmen auch im Wohnzimmer räumlich und
ihrer Anordnung auf einer Konzertbühne entsprechend zu hören waren. Die
Darstellung von Konzertflügel und Geige sowie der Verweis auf den Konzertsaal
deuten darauf hin, dass hier versucht wurde, Musiktruhen an das Renommee der ›Hochkultur‹
zu koppeln.
Bereits 1954 pries der Konzern Blaupunkt in einer Werbeannonce in der Zeitschrift Funkschau die »3D Ton Raumklang-Serie« euphorisch an, proklamierte den »Erfolg auf ganzer Linie« und verwies dabei auf diverse Presse- und Verkäuferstimmen (vgl. Anonym 1954b: 369). Die Rede ist von einer »richtungsweisende[n] Konstruktion«, von einer »schalltechnische[n] Delikatesse« und einer »neue[n] Phase der Entwicklung des vollendeten Klanges«. Gemäß der Annonce sei landläufig der Stillstand der Rundfunk- und Phonotechnik befürchtet worden, dem Blaupunkt schließlich pionierhaft entgegengetreten sei. Derlei überschwängliche Versprechungen der Industrie wurden aber seitens der Presse bisweilen auch kritisiert. In der Zeitschrift Radio-Fernseh-Händler monierte man »die manchmal weit überzogene Werbung für die klanglichen Eigenschaften von Musikschränken« (Anonym 1958: 530), die es in der Verkaufssituation erschwere, »dem Interessenten die wirklichen Unterschiede der Klanggüte und Leistung solcher Geräte klarzumachen« (ebd.).
Abb. 2: Blaupunkt-Werbeanzeige (1955).
Foto: Funkschau 14/1955, S. 357
Abb. 3: Siemens-Kammermusikkombination. Darstellung
im Rahmen eines Testberichts (1955).
Foto: Funkschau 17/1955, S. 379
Während also häufig neueste technologische Möglichkeiten des häuslichen Musikkonsums im Fokus der Werbekommunikation standen, prononcierten Anzeigen für Musikmöbel noch einen weiteren zentralen Aspekt: die wohnliche Gemütlichkeit, zu der die Phonoobjekte ebenfalls beitragen sollten. Zahlreiche bekannte Hersteller bedienten sich fortan entsprechender Werbebilder. So platzierte etwa die Firma Siemens in der Zeitschrift Funkschau im Rahmen eines Testberichts eine Fotografie, die das Abspielgerät – die Kammermusikkombination – im Zentrum des Raumes und somit als elementaren Bestandteil des Wohnarrangements präsentierte (vgl. Abb. 3). Der Konzern Telefunken beispielsweise wählte für Bedienungsanleitungen mitunter Motive, die den Gemütlichkeitsfaktor der Geräte unterstrichen. Phonoobjekte sollten in das Ambiente einer Wohnung integriert werden und vermittels der abgespielten Musik, aber auch durch ihr Design und ihre materiellen Eigenschaften zur Entspannung beitragen.
Abb. 4: Graetz-Werbeanzeige (1953).
Foto: Funkschau 5/1953, S. 99
Die Werbekommunikation verdeutlicht: Geräte wie Blaupunkts Colorado hatten sich organisch in den Wohnkontext und damit letztlich in den Alltag der Konsument*innen einzugliedern. Insofern intendierten die Hersteller eine spezifische Nutzungschoreografie, die der Zielgruppe mithilfe einschlägiger Werbemaßnahmen vermittelt wurde (vgl. hierzu Weber 2008: 47). Zugleich versprach der Musikschrank dank technologischer Innovationen Musikgenuss in höchster Qualität. Die potenzielle Käuferschaft scheint, folgt man Presseberichten jener Zeit, für entsprechende Neuerungen durchaus empfänglich gewesen zu sein. Immerhin hätten sich die Phonogeräte Mitte der 1950er-Jahre hinsichtlich »Qualität, Preis und Aufmachung« (Anonym 1954a: 32) kaum noch voneinander unterschieden und die Technik habe stets »in den gleichen rechteckigen, auf Hochglanz polierten Holzgehäusen mit den gleichen Zierleisten und den gleichen Goldknöpfen« (ebd.) gesteckt – derlei technische Errungenschaften wurden offenbar wohlwollend zur Kenntnis genommen bzw. sogar gefordert.
Das spezifische Design
von Musikmöbeln rekurrierte auf die Gestaltung von Möbelstücken der 1920er- und
1930er-Jahre im Stil des ›Gelsenkirchener Barocks‹ – eine ironische bis pejorativ
konnotierte Bezeichnung für wuchtig-ornamentale Holzmöbel (vgl. Zimmermann
1991). Materialien wie poliertes Nussbaumholz und Messing, hölzerne
Verzierungen und Glastüren schufen Bezüge zum altbekannten Design von
Wohnküchenschränken und verwiesen auf den vermeintlichen Wohlstand der
vorausgehenden Jahrzehnte, welcher in der unmittelbaren Nachkriegszeit sowie zu
Zeiten des beginnenden Wirtschaftswunders erneut angestrebt wurde (vgl. Röther
2012: 115). Eine Musiktruhe sollte als gediegenes Möbelstück für die ›gute
Stube‹ fungieren und dementsprechend ein essenzieller Teil des
Wohnungsmittelpunkts sein (vgl. ebd.). Bisweilen wiesen entsprechende
Phonoobjekte sogar Getränkefächer auf und ähnelten konventionellen Möbelstücken
daher durchaus (vgl. Abb. 4). Dies unterschied sie deutlich von ihren unmittelbaren
Nachfolgern, vornehmlich der Stereoanlage und dem Kompaktgerät (vgl. Gauß 1998:
78). Auch das Design der Musiktruhe Colorado weist deutliche Bezüge zu Gestaltungsweisen
des Gelsenkirchener Barocks auf, insbesondere durch das polierte dunkelbraune
Holz, durch die Farbgebung der Oberflächen und Benutzerschnittstellen sowie
durch die gläsernen Elemente der Vorderseite (für Beispiele zum Design des
Gelsenkirchener Barocks siehe Oster 1991).
Doch nicht allein das Design der Musikmöbel, sondern vor allem die »Harmonie der äußeren Form mit dem technischen Inhalt« (Anonym 1956a: 255) sollte die Wünsche der geneigten Käuferschaft erfüllen. Bisweilen wurde Blaupunkt explizit für die gekonnte Kombination von edlem Äußeren und fortschrittlichem Inneren gelobt: »Auch im neuen Jahr ist Blaupunkt zwei Hauptmerkmalen seines Angebots treu geblieben: Dem eleganten Aussehen der Geräte – und der Super-Hifi-Technik« (Anonym 1957a: 296). Schließlich müsse ein »Musikschrank der Meisterklasse« (Anonym 1955b: 285) zum Stil der Möbel potenzieller Kundinnen und Kunden passen, zugleich solle »jeder Musikschrank in vollendeter, schöner Klangwiedergabe die Werkstätte« verlassen (ebd.). Ferner nahm das Design der Musikmöbel Einfluss auf deren spezifische Nutzungsweise. Geräte wie Blaupunkts Colorado waren verhältnismäßig groß und schwer, sodass ihnen in der Regel ein fester Platz im Wohnarrangement zugewiesen wurde, an dem sie meist für einen längeren Zeitraum verblieben (vgl. Röther 2012: 120 f.). Hieraus resultierte eine nahezu verbindliche Kopplung des Musikkonsums an räumliche Kontexte, die durch die Materialität der Abspielgeräte wesentlich vorbestimmt war. Zudem wurde die Musik in Mehrpersonenhaushalten vermutlich meist in Gruppen gehört, da sich das Phonoobjekt häufig im Wohnzimmer, und damit im Zentrum der Wohnung befand, denn: »[N]ach des Tages Arbeit und Mühe versammelt sich die Familie in diesem Raum zum Rundfunk- oder Fernsehempfang« (Anonym 1955b: 285). Private Fotografien deuten darauf hin, dass die Phonomöbel tatsächlich als zentrales Element in wohnlichen Arrangements fungierten, die Familienmitglieder sich um die Geräte herum platzierten und gemeinsam an einem festen Ort Musik hörten.
Einerseits orientierte sich das Design der Musikschränke somit an produktgestalterischen Konventionen der 1930er-Jahre und referierte darüber hinaus auf den vermeintlichen Wohlstand jener Jahre – die Geräte etablierten sich als Prestige- bzw. Distinktionsobjekte. Andererseits versprachen die Hightech-Produkte der 1950er-Jahre Musikgenuss in höchster, soll heißen: konzertanter Qualität. Und schließlich resultierten aus der Gestaltung der Musikmöbel und deren Platzierung im Wohnarrangement spezifische Hördispositive, indem die abgespielte Musik an räumliche und soziale Kontexte gekoppelt wurde. Die Materialien und Gestaltungsspezifika waren infolgedessen nicht nur Merkmale eines Objekts, sondern wirkten vermutlich in spezifischer Weise auf die räumliche Umgebung und insofern auf die ästhetische und atmosphärische Wahrnehmung der Musikhörenden ein.
Das Design der Phonoobjekte veränderte sich in
den späten 1950er-Jahren grundlegend, insbesondere unter dem Einfluss der
Geräte des Herstellers Braun, der eng mit der Hochschule für Gestaltung Ulm
kooperierte. Andererseits konnte die Klangqualität der Musikmöbel, die wie im
Falle der Blaupunkt-Geräte Mitte der 1950er-Jahre noch überschwänglich angepriesen wurde,
den Ansprüchen der techno- und audiophilen Hörerschaft immer
weniger gerecht werden.
Obschon der Musikschrank für »viele Musikfreunde« (Diefenbach 1958a: 507) im Jahr 1958 noch die »Erfüllung
ihrer musikalischen Wünsche im Heim«
(ebd.) bedeutet habe und sich gerade Blaupunkt mit technischen Entwicklungen
wie dem »Konzert-Hall-Register« hervortat, das wiederum hochwertigen,
konzertanten Klang ins Wohnzimmer bringen
sollte (vgl. Diefenbach 1958b: 508), konnten sich diese Geräte bald nicht mehr
auf dem Markt behaupten.
Die sodann in den 1960er-Jahren aufkommenden Stereoanlagen und Kompaktgeräte zeichneten sich durch schlichteres Design und durch moderne Materialien wie Kunststoff und Plexiglas aus, der Gelsenkirchener Barock galt zunehmend als anachronistisch und die Klangqualität der Musikmöbel als defizitär (vgl. Röther 2012: 157 f.; Zimmermann 1991: 92). 1961 urteilte die Zeitschrift Funk-Technik, dass die technologischen Möglichkeiten dieser Gerätegruppe weitgehend ausgeschöpft worden seien, weswegen lediglich die Erneuerung gestalterischer Grundsätze eine Zukunftsperspektive bieten könne: »Gewisse Fortschritte sind aber möglich, wenn man an die Wünsche der Kunden nach individueller Eingliederung des Rundfunkgerätes in moderne Wohnräume denkt. Hier bietet sich eine neue Chance« (Anonym 1961: 758).
DAS DOSSIER WURDE VERFASST VON BENJAMIN BURKHART.
Einzelnachweise
[1]
https://nat.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=214955
[2]
https://digit.wdr.de/entries/22021?index=501&q=eyJ7Yn0iOiJyYWRpbyJ9&qt=search
[3]
https://digit.wdr.de/entries/134459?index=387&q=eyJ7Yn0iOiJyYWRpbyJ9&qt=search
[4]
http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/88903554
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Archivalien:
Sächsisches
Staatsarchiv, Staatsarchiv Chemnitz, 30981 VEB Messgerätewerk Zwönitz
Nr. 38. Gemeinsame Anweisung des Ministers für Allgemeinen Maschinenbau
und des Ministers für Schwermaschinenbau, 08.11.1957.
Abbildungen
Abb. 1:
Blaupunkt-Werbeanzeige (1955).
Funkschau13/1955, S. 278–279.
Abb. 2: Blaupunkt-Werbeanzeige (1955).
Funkschau14/1955, S. 357.
Abb. 3:
Siemens-Kammermusikkombination. Darstellung
im Rahmen eines Testberichts (1955).
Funkschau
17/1955, S.
379.
Abb. 4:
Graetz-Werbeanzeige (1953).
Funkschau5/1953
, S.
99.