Foto: Mario Brand
Die Vermona Formation 1 ist eine ab 1981 produzierte, einmanualige elektronische Orgel. Sie wurde im VEB Klingenthaler Harmonikawerke im vogtländischen Schöneck hergestellt und kostete bei Markteinführung ca. 4.000 Deutsche Mark (Ost). Grundlage der vorliegenden Studie sind zwei Exemplare der Formation 1. Ein Instrument befindet sich im Lippmann+Rau-Musikarchiv in Eisenach und wurde dem Archivleiter Reinhard Lorenz von einem ehemaligen Musiklehrer als Schenkung übergeben. Das zweite Instrument wurde Anfang 2020 im Rahmen des Forschungsprojektes »Musikobjekte der populären Kultur« auf Ebay-Kleinanzeigen erworben und wurde durch die Vorbesitzerin kaum genutzt.
Das Dossier ist in drei Abschnitte geteilt. Sie können es mithilfe der Buttons entweder chronologisch oder thematisch lesen. Zwei Infoboxen zur Top Octave Synthese und Beschaffungsproblemen in der DDR bieten zusätzliche Hintergrundinformationen.
Die Formation 1
ist als Combi-Orgel oder ›Portable‹ angelegt. Das bezieht
sich auf die kompakte Bauweise als transportables Musikinstrument. Der ›Spieltisch‹ der Formation 1 bietet
ein Manual mit 61 Tasten. Die Klaviatur ist jeweils in einen Bassbereich und
einen Diskantbereich aufgeteilt. Daneben befindet sich rechts der rote
Schriftzug Formation 1, darunter der Hauptnetzschalter (»Mains«) und das Logo
der Marke Vermona.
Über der Klaviatur finden sich die Bedienelemente der Klangerzeugung auf einer Blende aus schwarzem Metall. Sie sind in sechs Gruppen eingeteilt. Links befinden sich die »Effects«: Ein Phaser, ein Tiefpass (»Soft«) und ein Reverb können durch die Wippen den einzelnen Chören stufenlos zugeschaltet werden. Weitere Kontrollen erlauben Zugriff auf die Parameter des Phaser: »Speed«, »Intensity« und »Feedback« können einzeln eingestellt werden. Um die Lautstärkenkontrollen der vier Chöre »Flutes 1«, »Flutes 2« »Perc« und »Solo« sind die jeweiligen Register links und rechts angeordnet. Die Farben sind jeweils den Stimmen zugeordnet.
Abb. 1: Das Logo neben dem Hauptschalter des Eisenacher
Modells.
Foto: Laura Niebling 2019
Die Eisenacher Formation 1 zeigt besondere Nutzungsspuren: Während die Lackierung des Metalls um die Ausfräsungen für die Hebel bei allen anderen Registern intakt ist, scheint die Fußlage 2’ beim »Flutes 2« besonders angegriffen (vgl. Abb. 2). Es kann hier vermutet werden, dass die Verbindung von mechanischem Abrieb und chemischer Reaktion (durch Schweiß) diese Abtragung verursacht hat. Vor diesem Hintergrund ist von einer häufigen Nutzung auszugehen.
Abb. 2: Die Registersektion des Eisenacher Modells zeigt
besondere Nutzungsspuren.
Foto: Laura Niebling 2019
Abb. 3: Effektgruppen und Register der Vermona Formation 1.
Foto: Mario Brand 2020
Als Anschluss ist an beiden Modellen ein dreipoliger DIN-Stecker abgebildet, während am Instrument, das auf Ebay erworben wurde, eine große Klinke eingebaut ist. Entweder wurde das auf Ebay erworbene Gerät im Nachhinein umgerüstet oder es handelt sich um eine spätere Modellreihe, die bereits serienmäßig mit Klinkenanschluss ausgestattet wurde.
Der ganze Spieltisch ist fest in einem halben Koffer aus robustem Plastik in schwarzer Lederoptik verbaut. Montiert ist der obere Teil der Orgel auf einem Gestell aus Metallelementen. Zwischen den Metallfüßen ist eine schwarz lackierte Holzleiste angebracht, auf der mittig groß der Vermona-Schriftzug prangt. Zum Gerät gehört ein schwarzer Fußschweller, der bei dem Instrument aus Eisenach fehlt. Die Pedalmechanik dient dazu, die Gesamtlautstärke des Instrumentes zu regeln. Um das Gerät zu transportieren, kann ein dazugehöriger Deckel des Koffers an der Rückseite in Scharniere eingesetzt und das Gerät so geschlossen werden. Mithilfe von frontseitig angebrachten Tragelaschen lässt sich die Formation 1, wenn auch etwas umständlich, transportieren. Das Gestell wird zum Abbau in handliche Einzelteile zerlegt und kann in einer separaten Tasche aus schwarzem Lederimitat verstaut werden.
In den
1970er-Jahren setzten mehrere Entwicklungen ein, die den Weg für die Formation
1 ebneten. 1974 konnten bei elektronischen Musikinstrumenten zum ersten Mal »ein
[…] Export in das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet [ab]gerechnet werden« (Börner/Krause 1988: 56). Die elektronischen
Tasteninstrumente traten nun in direkte Konkurrenz zu den Produkten westlicher
Firmen.[1] Dementsprechend nahm fortan der sog. ›Weltstandsvergleich‹ eine wichtigere
Rolle ein: Sollten zum einen die eigenen Produkte mit denen der anderen
Hersteller verglichen werden, wurde gleichzeitig darauf geachtet, mit welchen
neuen Entwicklungen ebendiese jedes Jahr aufwarteten und was von diesen
übernommen werden konnte.
Auch gab es technische Fortschritte. So wurde mit dem Kombinat Funkwerk Erfurt der U 112 D entwickelt, der »eine neue Generation von Tongeneratoren« (ebd.: 58) und den Verzicht auf viele Bauteile ermöglichte. Nachdem auf dessen Basis 1975 die neue Tongeneratoren entwickelt worden waren, erfolgte bereits ein Jahr später eine weitere Reduzierung des Schaltungsaufwandes: Nur noch zwei ICs erzeugten nun die zwölf Haupttöne, wodurch die Stimmstabilität der gesamten Klangerzeugung erheblich verbessert werden konnte (vgl. Weichert 1999: 1 ff.).
Die
Herausforderungen und Probleme beim Bau elektronischer Musikinstrumente in der
DDR waren groß. Neben der Erfüllung der zunehmenden Anforderungen an den
Funktionsumfang der Geräte mussten elektronische Bauteile– besonders aus dem
kapitalistischen Ausland – eingespart und auch die Bedürfnisse des heimischen
und des RGW-Marktes befriedigt werden. Aus den Firmenunterlagen geht hervor,
dass sich viele dieser Ansprüche vor dem Hintergrund der Lieferbedingungen und
des technischen Stands der Produktion von Halbleitern in der DDR ausschlossen.
In einem Bericht einer Studiengruppe zum Stand der Produktion heißt es: »Im
Angebot preisgünstiger elektronischer Bauelemente gibt es gegenüber den Preisen
im NSW generell einen Rückstand« (VEB
Klingenthaler Harmonikawerke 1980a). Viele Kalkulationen lassen kaum
Alternativen zum Import aus dem Westen zu (vgl. ebd.).
Neue Produkte hatten sich im VEB KHW in verschiedenen Stufen zu bewähren, die als Leistungs- oder K-Stufen bezeichnet wurden. Die Überleitung von einer auf die nächste Stufe erfolgte durch eine Vorstellung des ›Entwicklungsthema‹ genannten Produktes; die Vorstellung wurde als Verteidigung bezeichnet. Dabei waren verschiedene Personen anwesend: Musiker*innen, Vertreter*innen der DEMUSA, des Innenhandels sowie Repräsentant*innen aus den verschiedenen Abteilungen der Klingenthaler Harmonikawerke, des Amts für industrielle Formgebung (AIF) und nicht zuletzt des Amts für Standardisierung, Meßwesen und Warenprüfung (ASMW), das u. a. die Einhaltung der sog. TGL-Normen[2] zu überwachen hatte.
Generell kann
die Formation 1 als Nebenprodukt der Formation 2 verstanden werden, deren
Entwicklung bereits ab 1976 in Angriff genommen wurde und entgegen der
Nummerierung bereits 1980, also vor der Formation 1, in die Serienproduktion
ging. Hier wurden die meisten technischen Probleme der neuen ETI-Serie gelöst.
In die Formation 1 wanderte die gleiche Klangerzeugung und Effektschaltung ein (vgl. Anonym 1980a: 1).
Die ersten
Vorüberlegungen für eine Überarbeitung der ET-6 Reihe lassen sich zu Beginn der
1970er-Jahre nachweisen: In dem Protokoll werden Planungen zu neuen Produkten
aufgelistet, darunter auch für ein »1- und 2-manualiges Kofferinstrument (VEB Klingenthaler Harmonikawerke, o. J.)«.
Weitere Indizien tauchen erst Jahre später im Protokoll zur »Rückmeldung zu
neuen Effekten« (VEB Klingenthaler Harmonikawerke
1976) auf. Darin offenbart sich auch ein Hinweis zum Einsatzgebiet: Denn
aus der Produktion kommt schließlich der Vorschlag, die ET-6, das
Vorgängermodell in zwei Ausführungen anzubieten: »eine Variante für den Einsatz
in Combos mit den entsprechenden Vereinfachungen und eine Variante für
Alleinunterhalter«. Dies bezieht sich darauf, dass Basspedal und einige Register
nach Angabe der Bandmusiker*innen für den Einsatz im Ensemble nicht gebraucht
würden.
Dies belegt die
immer wieder auftauchende Unklarheit darüber, an was für einen Kreis von
Kund*innen sich die Instrumente eigentlich richten sollten und welche
Anforderungen sie demnach zu erfüllen hatten. Bestanden wird in diesem Dokument
auf dem später realisierten »Sinussound« (ebd.), der in der ET 6-2 z. B.
nur bei bestimmten Registergruppen zur Verfügung stand. Auch ein separates
Leslie-Kabinett wird gefordert. Das in der ET-6-Reihe eingebaute Vibrato sei
indes – im Gegensatz zu einem »feste[n] Vibrato« (ebd.) – nicht vonnöten.
1977 scheint die
Planung in eine neue Phase einzutreten. Bereits im März wird festgelegt, dass die
Vorgängerserie nicht mehr weiter entwickelt werden soll (vgl. VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1977c). Im Oktober wird die
Überarbeitung der Sinus-Klangerzeugung als zu aufwendig für einen Einbau in das
neue Instrument bewertet. Dafür wird der Einbau des Phaser-Moduls beschlossen,
das zu diesem Zeitpunkt als Stand-Alone-Gerät bereits kurz vor der Einführung
steht (vgl. VEB Klingenthaler Harmonikawerke
1977d). Die Entscheidung für Formation 2 als Namen der neuen Orgel fällt
womöglich im Herbst; Anfang Dezember werden bereits erste »Reinzeichnungen« (vgl. VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1977e) übergeben.
Der »sozialistische Grosshandelsbetrieb« (vgl. VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1977b) Möbel-Kulturwaren-Sportartikel formuliert in einem Brief die »Forderungen des Binnenhandels« (ebd.) für das Jahr 1978. Verlangt wird dort eine »Kleinorgel« (ebd.), die sich eher für den »Heimgebrauch« (ebd.) eigne und daher mit »Begleitautomatik, Klaviereffekt und dergleichen« (ebd.) ausgestattet sein solle, wofür einige Effekte des Vorgängermodels eingespart werden könnten. Der Preis solle um ca. 2.000 Mark liegen. Die erhaltenen Notizen auf dem Brief zeigen, dass die Vorstellungen nicht realistisch waren. Zu den für den Heimgebrauch gedachten Features wird schlicht »Utopie« vermerkt. Man zeigt sich verwundert über die Forderung nach »weniger« Effekten. Hieran lässt sich ablesen, dass der Inlandshandel auf die Vermarktung des Gerätes als Heiminstrument drängte, was in einem späteren Beitrag zum Pflichtenheft vom 15.06.1978 unter Verweis auf »Kundenwünsche« (vgl. VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1978d) untermauert wird: Das für die Bands obsolete Basspedal wird dort zumindest als »Option« (ebd.) weiterhin erbeten.
Im Jahr 1978
tritt die Entwicklung in eine entscheidende Phase. Das Problem zu lauter
Tastengeräusche wird durch neue Schaltungsvarianten behoben, zudem wird mit
verschiedenen Filtervarianten experimentiert, um den Sinusklang des
Grundregisters 8’
zu verfeinern (vgl. VEB Klingenthaler
Harmonikawerke 1978a). Auch werden in Bezug auf die Anordnung der
Bedienelemente letzte Entscheidungen getroffen: Die Kontrollen des Phasers
wandern nach links, wodurch auch das Gehäuse gegenüber vorherigen Entwürfen
geändert werden muss (vgl. ebd. o. S.).
Auch bezüglich
ihres Einsatzgebietes wird die Formationsserie eindeutiger als Bandinstrument
konzipiert. Heimgebrauch und Alleinunterhalter stehen nicht mehr im Vordergrund.
Die Abteilung entscheidet sich im Februar gegen die Übernahme des bei der ET-6
noch verwendeten schwenkbaren Stativs. Dabei wird auf die Praxis des sog.
Stacking, also der Nutzung verschiedener Tasteninstrumente übereinander (vgl. VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1978c)
verwiesen. Einige dieser Argumentationen werden anhand von Erfahrungen
während des »Zentralen Leistungsvergleich Amateurtanzorchester« (ebd. o. S.)
geführt, was als Hinweis auf die Miteinbeziehung von Musiker*innen populärer
Musik gelten kann.
Der ›Weltstand‹ beginnt nun eine zentrale und konkrete Rolle zu spielen, sowohl in Bezug auf die Preisgestaltung als auch hinsichtlich der technischen Charakteristika. Für die in Deutschland wichtigen Messeveranstaltungen in Frankfurt (Frühjahrsmesse) und Leipzig (Herbstmesse) waren feste Gruppen, sog. ›Studiengruppen‹, damit beschäftigt, die heimischen Produkte zu vergleichen, die Rückmeldungen von Besucher*innen und Kund*innen aufzuarbeiten und die jährlichen Fortschritte zu beurteilen. Im Rahmen dieser Marktbeobachtung wird die Formation 2 auf dem westdeutschen Markt preislich neben eher günstigeren Modellen wie ELGAM und GEM eingeordnet (vgl. VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1978e). Die Klangerzeugung – also der Sinus-Sound –befände sich – Stand 1978 – auf internationalem Niveau, das Phasen-Vibrato stelle gegenüber dem »Normalvibrato« gar einen Fortschritt dar (ebd.: o. S.).
Ende 1979 geht die zweimanualige Formation 2 in die Serienfertigung. Ein Jahr zuvor findet die Formation 1 das erste Mal Erwähnung. Zwar ist bereits Anfang der 1970er-Jahre auch von einer einmanualigen Version einer neuen Reihe die Rede, konkret tauchen die Planungen aber erst in einem Schreiben des Direktors der Abteilung Absatz vom 09.01.1978 auf. Dort findet sich eine erste Skizze des Interface, die noch erheblich von der endgültigen Form abweicht
Abb. 4: Die
Register sind anders positioniert, die »Flutes 1« bzw. das Bassmanual fehlen
gänzlich und bei den Effekten ist das Vibrato nicht stufenlos regelbar.
Foto: Erste Skizze der Formation 1 (1978). Staatsarchiv
Sachsen
Auch eine
komplex erscheinende Schaltung wird erfragt, welche die Register automatisch in
der Lautstärke untereinander angleichen solle – ein Problem, das später mit der
stufenlos regelbaren Summenlautstärke pragmatisch gelöst wird. Zwar ist das
Konzept bereits überschrieben mit »[b]esonders gedacht für den Einsatz in der
Combo« (VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1978b),
aber das Dokument schließt wieder mit einer Überlegung, wie auf die musikalischen
Anforderungen des Alleinunterhalters einzugehen sei, so z. B. durch die
Möglichkeit der Manualtrennung und der Wirkung des Percustain-Registers auf
diesen Tastenbereich. Dabei handelt es sich um Funktionen, die auch Bestandteil
des finalen Produktes werden.
Die weitere
Entwicklung der Formation I verläuft geräuschlos. In einem Dokument, das auf
den 28.08.1979 datiert ist, findet sich der Hinweis auf die am selben Tag
stattfindende Verteidigung der Stufe K2 für das »Ablösemodell ET-6-1« (VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1979). Im
Januar 1980 folgt die Stufe K5.
Die nächste
Stufe verzögert sich in einem kritischen Moment, denn im Herbst soll das
Instrument bereits auf der Leipziger Messe präsentiert werden. Das Amt für
Standardisierung, Meßwesen und Warenprüfung erlaubt dies jedoch erst unter der
Maßgabe der erfolgreichen Verteidigung, die aus Zeitgründen nicht mehr möglich
ist. Es wird als Kompromiss vorgeschlagen, dass die Muster für die Verteidigung
unabhängig von dieser abgenommen werden können. Obgleich, wie es ein Bericht in Das Musikinstrument zeigt (vgl. Anonym 1980b: 1106), die Formation 1
tatsächlich auf der Messe vorgestellt wird, verwundert es, dass sie im Bericht
der Studiengruppe im Nachgang der Messe keine Erwähnung findet.
Bereits am 23.09.1980 wird in einem Maßnahmenplan zur Auswertung der Messe die Überleitung der Nullserie im Oktober und einer Vorserie von 15 Stück im November angewiesen – es bleibt unklar, inwiefern sich das auf eine etwaige Rückmeldung auf der Messe bezieht (vgl. VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1980e). Im selben Dokument findet sich ein Hinweis auf die Angleichung der Instrumente an den internationalen Standard: Ab dem zweiten Halbjahr 1981 soll der bereits nun durch NSW-Importe abgesicherte Einbau von Klinkensteckern »autark« (ebd.) erfolgen. Spätestens 1983 spricht ein Dokument davon, dass das Thema Formation 1 abgeschlossen sei (VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1983).
Ein Werbeblatt zeigt das Gerät auf der Vorderseite vor einem gelben Hintergrund, auf der Rückseite verspricht der knappe Werbetext unter Anspielung auf die Erfolgsmodelle von Hammond die Erübrigung der »zentnerschweren elektromagnetischen Orgel« (Harmonika Museum Zwota o. J.: o. S.) sowie des »mechanischen Rotors« (ebd.). Sowohl der »ausgewogene Sinus« (ebd.), als auch das »unverwechselbare Phasenvibrato« (ebd.) würden in diesem Sinne ermöglichen, den Hammond-Sound auf dem »elektrischen Portable« (ebd.) zu »reproduzieren«.
Wie auch bei vorherigen Modellreihen wurde ein nicht unerheblicher Teil der Formationsmodelle in die Länder des RGW exportiert, was sich in den vielen Videos auf Clip-Portalen wie YouTube neueren Datums widerspiegelt, in denen Nutzer*innen aus Tschechien, Russland und der Ukraine diese Modelle vorführen. Auch die Betriebschronik spricht von der »Pionierarbeit« der DDR unter den »Bruderstaaten« (Börner/Krause 1988: 64).
Zur Rezeption in
der DDR sind nur wenige bzw. indirekte Anhaltspunkte zu finden. Ein Mitglied
der Studiengruppe der VEB KHW informiert seine Kolleg*innen über die Rezeption
des neuen Instruments: Das Gerät werde zwar als »hervorragend eingeschätzt« (VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1980d) und
sei als »Instrument […] für Rock- und Popgruppen […] voll geeignet« (ebd.),
jedoch würde es »bislang nicht auf der Bühne verwendet!!!! « (ebd.). Als Grund
wird die fehlende »Gestaltungsharmonie mit den anderen vorhandenen Geräten«
(ebd.) angeführt, gefordert werde ein »durchgehend sachliche[r] Stil (Farben:
Schwarz/Silber oder nur Metallic)« (ebd.). Hier kann vermutet werden, dass mit
den ›anderen Geräten‹ Instrumente aus dem Westen gemeint sind. Technologisch
hingegen fordere man – in Abgrenzung zur ET-6-Reihe – spezialisierte
Instrumente, die »echte Kombinationen« (ebd.) erlaubten und nicht alles in
einem Gerät kombinierten, wie es für das Alleinunterhalterinstrument wie die ET
6-2 umgesetzt wurde.
Dies erinnert
zum einen an die früher geäußerten Forderungen des Handels, die Anzahl
verbauter Effekte zu reduzieren und kann zugleich als weiterer Verweis auf die
Praxis des ›Stacking‹ gelesen werden. Werbeprospekte und Abbildungen in der
Zeitschrift Melodie & Rhythmus zeigen, dass die Formation 1 teils als ›Bundle‹ zusammen mit dem E-Piano
verkauft und dargestellt wurde, womit durchaus versucht wurde, auf derartige
Beschwerden einzugehen.
Die Rezeption
der Instrumente in der Musikpresse der DDR übernahm die Werbebotschaften der
Klingenthaler Harmonikawerke, ohne dabei Begeisterung oder Interesse anklingen
zu lassen (vgl. Ruschkowski 1983: 352). Der
Journalist Stefan Lasch nutzt eine Ausgabe seiner ›Instrumentensteckbriefe‹ in Melodie & Rhythmus, um die neue
ETI-Serie vorzustellen. Grundsätzlich bescheinigt er darin den Geräten, dass
sie beim Anschluss an geeignete Lautsprecher und Verstärkeranlagen »Klangwerte« (Lasch 1980: 15) erreichen würden, die den
»Anforderungen moderner Rockmusik weitestgehend entsprechen« (ebd.). Besonders
der in der Formationsreihe verbaute Phaser wirke sich »sehr gut auf den
Klangeindruck aus« (ebd.). »Antiquiert« (ebd.) wirke hingegen das »Stativ«
(ebd.) Für ein »abschließendes Urteil« (ebd.) sei es hingegen zu früh, da zu
wenige »praktische Anwendungsbeispiele« (ebd.)
vorlägen.
Antje Klages
berichtet zwei Jahre später von einer solchen praktischen Vorführung: der
Konzertreihe mit dem Titel »Barock bis Rock«, die 1981 von den Klingenthaler
Harmonikawerken initiiert wurde, um die »interpretatorischen Spannweiten der
neuen Vermona-Instrumente aufzuzeigen und […] in die Tiefen ihrer Anwendbarkeit
vorzudringen« (Klages 1982: 15). Dazu
wurden nicht nur »Klassikübertragung[en]« (ebd.) vorgestellt, sondern auch
»maßgeschneiderte Gegenwartsliteratur speziell für die ›Vermona‹-Orgeln«
(ebd.).
Sie lobt die
Leistungen der Künstler*innen auf ihrem »gleichberechtigten […] Instrument«
(ebd.) und hebt dabei Wilfried Schneider hervor, der zu den Vorführern von
Vermona gehörte (vgl. Schimke 2009: o. S.).
Auch erwähnt sie die Rockband Lift, die Kompositionen von Wolfgang Scheffler,
ihrem Keyboarder, spielte (vgl. Klages 1982: 15). Insgesamt sei es gelungen,
die »Variabilität« (ebd.) und »Klangreinheit des Sounds« (ebd.) zu vermitteln,
die »Expressivität« (ebd.), welche die »Formation 2« (ebd.) zusammen mit dem
»Piano-String als vollkommen eigenständige Ergänzung« (ebd.) innerhalb des
Ensembles darstelle. Doch sie beklagt die Qualität der Lautsprecher und
vermisst auf der Veranstaltung die »führenden Fachleute, die Solisten, die
Lehrer der Zunft, die Veranstalter« (ebd.) und »neue inhaltliche Aspekte«
(ebd.). Sie fordert zudem die »Schaffung einer eigenen Literatur für das
elektrische Tasteninstrument« (ebd.) und zeigt sich verwundert darüber, dass
nicht mehr der »genügend guten Keyboarder« (ebd.) vertreten seien. Zuletzt
vermutet sie, dass gerade in der avancierten Musik zu wenig Offenheit für das
»Neue, Unbequeme« (ebd.) bestünde.
Beide Einlassungen, sowohl Laschs fehlende Fortsetzung in seiner M&R-Kolumne (in Bezug auf die Erfahrungsberichte der Musikgruppen mit den neuen Modellen) als auch Klages Kritik an der fehlenden Fachöffentlichkeit auf dem Werbe-Event, scheinen auf einen nicht sonderlich hohen Stellenwert der neuen Generation elektronischer Tasteninstrumente hinzudeuten.
Der schwere
Stand der Instrumente aus eigener Produktion ergab sich nicht nur aus der im
Vergleich zu westlichen Instrumenten fehlenden ›Ikonizität‹, Qualitätsmängeln
oder der schlechten Zugänglichkeit. Schwerer wog die Kritik an der klanglichen
Qualität. Die bekannte Popband City habe bei einem Auftritt auf einem
FDJ-Konzert im Jahr 1985 angekündigt, ein »DDR-Musikinstrument« (Hofmann 1999: o. S.) dabei zu haben und habe
dann einen »Luftballon […] unter lautem Gejohle der Fans ins Shure-Mikrophon
furzen« (ebd.) lassen. Die Instrumente
der Klingenthaler Harmonikawerke waren von solcher Kritik nicht ausgenommen:
Lutz Winkler, Frontmann der Magdeburger Band Reggae Play gibt an, dass sie auch
ein »Vermona-Klavier« (Schimke 2009) nutzten, ohne das genaue Modell zu nennen.
Zwar habe es »ganz grausig geklungen« (ebd.), das sei aber für die »Hunkenpunken-Musik
[…] natürlich auch stellenweise lustig« (ebd.) gewesen. Habe man aber »ernsthaft
Musik« (ebd.) machen wollen, so Winkler weiter, sei es »nicht [zu] gebrauchen«
(ebd.) gewesen.
Etwas weniger drastisch formuliert es im Rahmen desselben Features Rolf Weichert, ein ehemaliger Mitarbeiter und Verfasser einer Betriebschronik über die ET-6 2, die in den 1980er-Jahren vor allem bei Amateurtanzkapellen noch weit verbreitet war. Er bezieht sich dabei insbesondere auf den ›unperfekten‹ Klang der als Vorbild dienenden Hammond-Orgel:
[D]ie richtige Schweineorgel konnte sie eben nicht, weil sie einfach zu gut war, zu exakt. Wir mussten uns bei Vermona Musikinstrumenten an bestimmte Vorgaben halten, Klirrfaktor und so weiter, da musste ein bestimtmer Frequenzgang erfüllt werden und zwar nicht weil er in der Musik gebraucht wird, sondern weil das einige Leute von bestimmten Prüfinstituten so haben wollten. Eigentlich wäre damals weniger mehr gewesen. (Schimke 2009: 14:44–15:17)
Die Offenheit, mit der in den Firmenschriften in Schöneck über Unzulänglichkeiten, den Rückstand gegenüber dem ›Weltstand‹ und den Status der eigenen Instrumente korrespondiert wurde, legt nahe, dass sich für die Interventionen des Amts für Standardisierung, Meßwesen und Warenprüfung – Weichert bezieht sich hier auf die bereits erwähnten TGL-Normen – auch Nachweise finden. Allerdings sind – bis auf einige Normen bezüglich der Tastengröße (vgl. VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1966) – kaum Dokumente erhalten, welche diese Behauptung untermauern könnten.
DAS DOSSIER WURDE VERFASST VON ALAN VAN KEEKEN.
Einzelnachweise
[1] In einem Schriftwechsel
mit einem niederländischen Vertriebler heißt es dazu: »Es muss daran erinnert
werden, dass wir eine sehr hartnäckige Konkurrenz bei tragbaren Orgeln von
Farfisa, Welson und verschiedenen anderen Firmen einschließlich HAMMOND haben« (VEB Klingenthaler Harmonikawerke 1977a).
[2] TGL (Technische Normen,
Gütervorschriften und Lieferbedingungen) war das Pendant zu den heute noch
bestehenden DIN-Normen, wie sie vom Deutschen Institut für Normung festgelegt
werden.
Quellen
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Archivalien:
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Musikinstrumenten-Museum Markneukirchen (o. J.). Vermona M 346 19. Werbeblatt Vermona Formation. Eine neue Generation elektronischer Tasteninstrumente.
Musikinstrumenten-Museum Markneukirchen (1999). Weichert, Rolf MMM H27 3718. Chronik zur Entwicklung und dem Bau von Musikelektronik in der DDR, 1999.
VEB Klingenthaler Harmonikawerke (o. J.). Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Chemnitz, VEB Klingenthaler Harmonikawerke 80/31123. Protokoll Planungen ETI.
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VEB Klingenthaler Harmonikawerke (1980a). Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Chemnitz, VEB Klingenthaler Harmonikawerke 320/31123. Bericht Weltstandsvergleich Gruppe AME, 1980.
VEB Klingenthaler Harmonikawerke (1980b). Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Chemnitz, VEB Klingenthaler Harmonikawerke 320/31123. Studiengruppen und Weltstand, 04.02.1980.
VEB Klingenthaler Harmonikawerke (1980c). Sächsisches Staatsarchiv, Chemnitz, VEB Klingenthaler Harmonikawerke 320/31123. Gebrauchswertaufstellungen ETI, 06.03.1980.
VEB Klingenthaler Harmonikawerke (1980d). Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Chemnitz, VEB Klingenthaler Harmonikawerke 320/31123. Expovita Bands, 26.08.1980.
VEB Klingenthaler Harmonikawerke (1980e). Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Chemnitz, VEB Klingenthaler Harmonikawerke 320/31123. Maßnahmenplan Auswertung LHM, 23.09.1980.
VEB Klingenthaler Harmonikawerke (1983). Sächsisches Staatsarchiv, Chemnitz, VEB Klingenthaler Harmonikawerke552. Formation 1 Verdecktransport, 01.02.1983.
Abbildungen
Abb. 1: Das Logo neben dem Hauptschalter des Eisenacher
Modells. Laura Niebling 2019.
Abb. 2: Die Registersektion des Eisenacher Modells zeigt
besondere Nutzungsspuren Laura Niebling 2019.
Abb. 3: Effektgruppen und Register der Vermona Formation 1.
Mario Brand 2020.
Abb. 4: Erste Skizze der Formation 1 (1978). Staatsarchiv
Sachsen.