Der Waldorf Microwave I ist ein Synthesizer der Firma Waldorf Electronics GmbH. Er hatte zur Markteinführung einen Listenpreis von 2.790 D-Mark. Das vorliegende Modell (Seriennummer 91491902) wurde Anfang der 1990er-Jahre von René Tinner für das CAN-Studio erworben. Im Rahmen des Ankaufs des Studioequipments Mitte der 2000er-Jahre ging auch der Microwave in den Besitz des rock’n’popmuseums über.
Das Dossier ist in drei Abschnitte geteilt. Sie können es mithilfe der Buttons entweder chronologisch oder thematisch lesen. Eine Infobox zu Nutzung im CAN-Studio bietet zusätzliche Hintergrundinformationen.
Bei dem Waldorf Microwave handelt es sich um einen Rack-Synthesizer. Das bedeutet, dass er für den Einbau in ein standardisiertes Regal (im Tonstudio) vorgesehen ist. Ein solches Regal ist darauf ausgelegt, möglichst viele Geräte auf kleinem Platz aufzunehmen. Im deutschen Sprachgebrauch wurde in den 1990er-Jahren der Microwave daher als ein »19-Zoll-Einschub« bezeichnet.
Der Microwave sitzt in einem schwarzen Gehäuse aus Metall (44x25x8,5 cm). Die Rückseite beherbergt links ein Kühlelement, welches dazu dient, die Hitze des Netzteils nach außen zu leiten. Von links nach rechts befinden sich hier auch die Ein- und Ausgänge des Gerätes, so der Master bzw. hier »Stereo-Out« genannte Hauptausgang, vier individuelle Ausgänge (»Individual Out«) – allesamt 6,35-mm-Klinke – und rechts drei MIDI-Schnittstellen (»In«, »Thru« und »Out«).
Abb. 1:
Ganz rechts ist
unter dem stilisierten Gerätenamen Seriennummer und genutzter Strom sowie
Hertz-Zahl in Handschrift in Freifelder geschrieben. Das verweist auf die
Produktion für verschiedene Märkte mit anderen Hausstromwerten (USA, GB).
Darüber sind Firmenlogo und -name in großem Format platziert.
Foto: Mario Brand
Links neben den zwei Elementen befindet sich als Anzeige des Gerätes ein LCD mit grünem Hintergrund, umrandet von einem Kunststoffelement. Das LCD stellt zwei Zeilen dar: Die obere zeigt an, in welchem Modus oder Menüpunkt sich das Gerät befindet, die untere, die »Fußzeile«, den Wert bzw. die Einstellung. Darunter befindet sich der Eingang für eine Speicherkarte, die durch den Microwave ausgelesen- und beschrieben werden kann.
Neben dem anthrazitfarbenen Mode-Taster (»Mode«) und dem Firmenlog befindet sich eine Matrix aus 16 Menüpunkten oder Einstellungen, die links von vier »Mode«-LEDs und darunter mit vier Tastern – »Shift«, »Store«, »Compare« und »Recall« – abgeschlossen wird, die in der Anleitung als »Select-Taster« geführt sind. Während der »Mode«-Taster die Zeile selektiert, dienen die »Select«-Knöpfe zur Auswahl der Spalte.
Damit der Waldorf Microwave erklingt, muss zunächst ein MIDI-Gerät zur Steuerung und ein Wiedergabegerät zur Ausgabe des Klangs angeschlossen werden. Durch den »Midi-Through« lassen sich mehrere Microwaves zusammenschließen, sodass mit einem MIDI-Interface auf das Doppelte an Stimmen und Sounds zugegriffen werden kann: Nutzt die/der Spieler*in mehr als acht Stimmen, wird der ›Overspill‹ weitergeleitet. Zur einfachen Stimmenerweiterung (ohne weitere Einstellungsmöglichkeiten) brachte Waldorf hierfür später den sog. ›Waveslave‹ heraus.
Der Microwave unterstützt mehrere Möglichkeiten der Modulation, so mithilfe des »Pitch-Bend« oder des »Modulation«-Rades. Auch erlaubt er anschlagsdynamisches Spiel mit »Aftertouch«. Besonders für die Wavetable-Technologie stellt dies ein wichtiges Element dar. In Bezug auf die Modulationsmöglichkeiten, so betont Wolfram Franke, erwies sich die Kombination des Microwave mit einem MIDI-Blaswandler als besonders populär (vgl. Franke 2020: o. S.).
Abb. 2:
Der Regelweg
des in der Anleitung »Alpha Dial« genannten Elements ist auf 24 »Clicks«
indexiert und rastet nach kurzer Bewegung des Bedienelements ein, um die
Menünavigation und die Einstellung einzelner Werte zu erleichtern.
Foto: Mario Brand
Die verschiedenen Bedienebenen werden über den »Mode«-Taster durchgeschaltet, die LEDs an der Seite zeigen die gerade angewählte Ebene der Matrix an. Der Microwave bietet in seiner Grundfunktion den Single-Sound und den Multi-Sound. Im »Global-Mode« können allgemeine Einstellungen vorgenommen werden, die sich auf das Gerät im Allgemeinen auswirken, so die Grundstimmung. Im Modus des »Sound-Edit« kann direkt an den Einstellungen der Oszillatoren, Hüllkurven und LFOs sowie an weiteren Klangparametern gearbeitet werden. Es sind mehrere Möglichkeiten der Speicherung eigener Sounds gegeben.
Auf den ersten Blick ähnelt der Signalweg des Microwave dem des eines klassischen Synthesizers: Oszillator – Filter – Verstärker – Ausgang (vgl. Ruschkowski 2019: 148 ff.). Allerdings handelt es sich in Bezug auf die generelle Anlage und die technische Architektur um einen Digital-Analog-Hybrid: Die Ausgangsdaten werden auf einem Chip erzeugt, Oszillation, Mischung und LFO (Low Frequency Oscillator) sowie die Applizierung von Hüllkurven finden digital statt. Die über die Digital-Analog-Schnittstellen gewandelten Signale werden dann analog durch den IC CEM 3389 der Firma Curtis Electromusic gefiltert. Der Microwave ist achtstimmig polyfon. Das bedeutet, dass acht Klänge gleichzeitig erklingen. Durch den digitalen Aufbau der Klangformung können bis zu acht ›Instrumente‹ bzw. ›virtuelle‹ Microwaves gleichzeitig angespielt werden. Er besitzt im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen keine ›on-board‹-Effekte.
Die Wavetable-Synthese ist das Alleinstellungsmerkmal des Microwave. Die zwei digitalen Oszillatoren besitzen im Gegensatz zu ihrem analogen Gegenstück keine feste Schwingungsform. Vielmehr greifen sie auf sog. Wavetables zu, von denen 30 Stück zur Verfügung stehen. Dabei bestimmen die »Oszillatoren nur die Frequenz, mit der die aufgerufenen Wellenformen gelesen« (W.S. 1989: 36) werden bzw. die Tonhöhe.
Die Wavetables oder ›Wellensatztabellen‹ (vgl. Irmer 1996: o. S.) organisieren jeweils 64 einzelne Wellenformen, die in einer festgelegten Reihenfolge sortiert sind. Die Oszillatoren greifen immer nur auf einen dieser Wavetables zu, können in diesem jedoch an verschiedenen Punkten ansetzen. Die einzelnen Wellen wiederum sind aus 128 einzelnen »Wellenformdatenschritten« oder Samples zusammengesetzt, die jeweils eine einzelne Periode umfassen. Die drei letzten Wellen in jedem Wavetable (61–64) bestehen immer aus Dreieck-, Rechteck- und Sägezahnform.
Während es sich für diesen Modus empfiehlt, eine einzige Wellenform auszuwählen, ermöglicht es der Microwave darüber hinaus, während des Spiels die Wellenformen dynamisch zu wechseln bzw. nach vorher festgelegten Parametern zu ›durchfahren‹ oder zu ›scannen‹. Dieses ›Wavescanning‹ ist mit einem Daumenkino vergleichbar, dessen aneinandergereihte Bilder bei ausreichender Geschwindigkeit beim Betrachter zu einer sinnvollen Bewegung verschmelzen. Geschwindigkeit, Reihenfolge und Umfang des Vorgangs kann dabei gesteuert werden. Entweder werden die Bedingungen dieses Durchfahrens in der Form der Zuweisung einer festen Modulationsquelle oder dem live vorgenommenen Eingriff über die oben beschriebenen MIDI-Kontrollen getätigt. Auch lässt sich bestimmen, ob die Tabelle der Reihe nach oder zufällig gescannt werden soll, was sich drastisch auf den Klangcharakter auswirkt, da die Abstände deutlich hörbar werden.
Zentral mit dem Wesen der Wavetable-Technologie verbunden und mit großer Auswirkung auf den Klang einer Wellentabelle ist die Möglichkeit, im Wave-Modus zwischen »stepped« und »smooth« zu wechseln. So werden die Übergänge zwischen zwei Wellenformen mit verschiedenen Algorithmen interpoliert, was dazu führt, dass entweder sanfte Übergänge errechnet werden oder ein aus hörbaren ›Sprüngen‹ zwischen den einzelnen Wellenformen resultierender Sound dominiert.
Der Klang des Microwave I wird häufig als ›gritty‹, metallisch, und rau beschrieben. Die Gründe für diesen eigenen Klangcharakter liegen in der Wavetable-Synthese und ihrem Aufbau als klangliches ›Daumenkino‹. Eine andere Quelle ist die Anlage als Digital-Analog-Hybrid. Denn die ›Übersetzung‹ digitaler Datenpunkte und Samples in ein lineares analoges Signal bietet viele Fehlerquellen, die einerseits dem Stand der Prozessor- und Bauteiltechnik geschuldet sind, aber eben auch zu dem besonderen Klangcharakter beitragen.
Die Wavetable-Synthese entstand Ende der 1970er-Jahre und ist eng mit dem Wirken von Wolfgang Palm und seiner Firma PPG (Palm Products GmbH) verbunden. 1974 gründete er die Synthesizer-Manufaktur in Hamburg. Seine Firma baute neben Modular-Systemen schon früh Spezialanfertigungen für prominente Nutzer*innen wie Tangerine Dream oder Klaus Schulze. Obgleich die Wavetable-Synthese in der Pop-Musik der 1980er-Jahre eine wichtige Rolle spielte, stellte die Firma ihren Betrieb nach mehreren Rückschlägen 1987 ein. Voraussetzung der Entwicklung der Wavetable-Synthese waren die Verbreitung programmierbarer Prozessoren und die Entwicklung des Synthesizer-Marktes.
Ende der 1970er-Jahre sah sich die Firma durch die Entwicklungen auf dem Synthesizer-Markt unter Druck gesetzt. Inspiriert durch die Speicher- und Programmierfähigkeiten der Mikroprozessoren überlegte Palm, ob es nicht möglich sei, Analogsysteme in der Form digitaler Surrogate zu produzieren. Er erhoffte sich dadurch auch, die für den analogen Klang zentralen ›Filter-Sweeps‹ günstig emulieren zu können. Dazu sollten die verschiedenen Momentaufnahmen der Wellenformen während des Sweeps abgerufen und durch eine Hüllkurve gesteuert werden. Dies erwies sich jedoch als problematisch, wie Palm in einem Interview gestand: »Aber das funktionierte natürlich nicht, weil 64 Wellenformen in einem Wavetable viel zu wenig sind und die ganzen Phasenverschiebungen in einem Filter nicht mitsimuliert wurden. Es klang alles total anders« (zit. n. Weyers 1990b: 128). Dieses ›Andere‹ hob sich jedoch von allem ab, was bis dato bekannt gewesen war.
Beim Wave kam irgendwann der Punkt, an dem man feststellte, da es mit der Simulation von Analogsynthesizern nicht funktionierte; es wäre alles viel zu teuer geworden. Dann war eigentlich relativ klar, daß man in eine mehr experimentelle Richtung gehen sollte. Also wurde eine andere Wellenauswahl getroffen. Dies hob den Wavecomputer auch von allen anderen Synthesizern dieser Zeit ab. Viele Musiker bevorzugten damals den Prophet, der fette Analogsounds bot. (Ebd.: 128)
Der Durchbruch der Wave-Technologie gelang mit dem PPG Wave 2, der 1981 vorgestellt wurde. Es konnten acht Stimmen gleichzeitig gespielt werden und auch unterschiedliche Sounds gleichzeitig erklingen (multitimbral). Auch eine analoge Filter- und Verstärkersektion wurde hinzugefügt. Der Synthesizer, der für ca. 10.000 Mark erworben werden konnte, wurde optional mit einem Sequenzer ausgeliefert. Neben Tangerine Dream nutze z. B. Thomas Dolby das Gerät auf The Golden Age of Wireless (1982), was dem Gerät auch international Reichweite bescherte. Auch war es die auffällige blaue Front, die das Gerät herausstechen ließ und die folgenden PPG Produkte kennzeichnete.
Der Microwave, der im April 1987 bereits in Planung ging (vgl. Weyers 1990b: 129) und Ende 1989 vorgestellt wurde, war das erste große Projekt der Firma Waldorf. Wie bereits bei der Wavetable-Synthese, so waren es auch hier technologische Entwicklungen und die Verfasstheit des Marktes, die nicht nur zur Gestalt des Gerätes, sondern auch zu seinem nachhaltigen Erfolg führten. Zwar mag das heutige Urteil der Firma, dass der Microwave »die weltweite Dominanz japanischer und amerikanischer Synthesizer beendet« (Anonym 2021: o. S.) habe, übertrieben klingen. Bis heute gilt die Marke jedoch als legitimer Verwalter des Erbes von PPG und als einer der wichtigsten Synthesizer-Hersteller der 1990er-Jahre.
Während Palm eine tragende Rolle bei der Entwicklung spielte und eine Lizenz für seine »Microwaves« (Grandl 2019: o. S.) erhielt, übernahmen andere die Leitung des Projektes und das konkrete äußere und ›innere‹ Design. Der Fortschritt in der Entwicklung von Prozessorarchitekturen ermöglichte es, die selbstgestellte Aufgabe von Wolfgang Düren, dem Firmengründer, zu verwirklichen: eine günstige Version der Wavetable-Synthese anzubieten. Reizvoll waren dabei vor allem die seit Mitte der 1980er-Jahre verfügbaren ASICs (application-specific integrated circuits). Die Wave-Modelle hatten alle noch mit universal einsetzbaren Mikroprozessoren gearbeitet. ASICs konnten im Gegensatz dazu nicht umprogrammiert werden und waren auf ein Aufgabenfeld beschränkt. Palm nahm dazu an einem einwöchigen Lehrgang teil und erarbeitete das Design nach den Maßgaben der Projektleitung. Sowohl in Bezug auf den Preis als auch den Funktionsumfang und Modulationsmöglichkeiten mussten Abstriche gemacht werden. Bereits Palms erster Entwurf erwies sich jedoch als erfolgreich (vgl. Weyers 1990b: 129).
Der Markt, auf den der Microwave von einer euphorisch gestimmten Belegschaft platziert wurde, war größtenteils zwischen japanischen Herstellern wie Yamaha, Akai und Roland sowie wenigen US-amerikanischen Firmen aufgeteilt (vgl. Stange-Elbe/Bronner 2009: 311 f.). Eröffneten die aufwendigen PPG-Produkte wie Waveterm A noch die Möglichkeit des Abspielens und Editierens von Samples, wurde dies durch die Verbreitung günstiger auf Sampling konzentrierter Systeme wie Akai-S-Modellen oder Geräten von E-MU Systems hinfällig. Interessant ist vor diesem Hintergrund die Entscheidung des Nachfolgers Waldorf, auf Emulationen zu verzichten und die Wavetables in den Vordergrund zu stellen. Ein weiteres Wagnis stellten die vielen Einstellungs- und Editierungsoptionen dar. Denn zu dieser Zeit hatte sich bereits eine Arbeitsteilung zwischen Nutzer*innen und jenen Personen etabliert, welche die Sounds programmierten (vgl. Trask 1990: 72).
Die Bewerbung des Microwave erfolgte mit ganzseitigen Anzeigen in der Fachpresse und mit der Veröffentlichung eines eigenen Demotapes. Dabei wurden mehrere Strategien verfolgt: Zunächst wurde der Microwave als Erbe der Wavetable-Technologie von PPG beworben. Hinzu kam die die hybride Natur der Klangsynthese und die vielen Einstellmöglichkeiten des Synthesizers, zuweilen auch in Abgrenzung zu Modellen der Konkurrenz. Schließlich versuchte Waldorf auch, den Microwave als ›coolen‹ Außenseiter und ›Underdog‹ zu verkaufen. In eigenen Worten beschreibt Axel Hartmann, der auch die Werbekampagne verantwortete, den Ansatz als eine »selbstbewusste, immer etwas schräge Ansprache in der Werbung«, die einem »stets seriöse[n] Auftreten« gegenüberstand, »wenn es um Spezifikationen oder Texte in Prospekten« ging (Hartmann 2020: o. S.).
Die Vorgaben für das Interfacedesign beschreibt Hartmann, der Chefdesigner des Microwave als eindeutig: Zunächst war von Anfang an klar, dass es sich um ein Rackmodul mit einer flachen Aluminium-Front handeln sollte. Auf dieser sollten ein 2x16-Zeichen-Display (LCD), ein Encoder und eine OK-Taste Platz finden. Auch die Parametermatrix war in dieser Form schon von Produktmanager Claudius Brüse vorgegeben. Obgleich hiermit wenig Spielraum existierte, gibt Hartmann an, dass – da es sich um das erste Produkt von Waldorf handelte – dem Design besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Denn mit dem Microwave machte die Firma ihren Einstand in einem umkämpften Markt arrivierter internationaler Unternehmen. Regelmäßig informierte Hartmann daher seine Kollegen über neue Ideen und renderte nach eigenen Angaben in dieser Zeit 30 bis 40 verschiedene Anordnungen und Entwürfe, bis sich das Team auf das definitive Design einigte (vgl. Hartmann 2020: o. S.).
Die besondere Auffälligkeit des roten Encoders war beabsichtigt: Schon aus der Ferne sollte das Gerät aus dem vorherrschenden Schwarz und Grau der Konkurrenzprodukte herausstechen. Die Anordnung und auch die um 45 Grad gekippte OK-Taste hingegen wurden mit einer ergonomischen Bedienweise im Hinterkopf konzipiert: Während Zeige- oder Ringfinger an dem Dial ruhen, kann der Daumen den Taster bedienen. Dies ist vor allem dahingehend von Bedeutung, dass es sich um die zwei Hauptbedienelemente handelt. Diese schlüssige Herleitung der Anordnung entstand allerdings unter der Maßgabe der Rechtshändigkeit. Die Farbwahl diente als Hommage an das markante Blau der PPG-Geräte.
Als Hintergrund des kompakten und ›aufgeräumten‹ Designs schildert Hartmann den nachhaltigen Einfluss, den der Yamaha DX7 auf das Design nachfolgender Produkte ausübte. Dieser hatte anstelle zahlreicher Knöpfe, Schalter und Potentiometer nur wenige Steuerelemente und ein Display, das die jeweiligen Einstellungen abrief. Das habe im ersten Moment weniger »verwirrend« auf die Nutzer*innen gewirkt (vgl. ebd.). Viele Hersteller begrüßten diese Tendenz, denn weniger Bedienelemente bedeutete auch weniger Kosten in der Konstruktion, wodurch mehr Geld für digitale Bestandteile ausgegeben werden konnte.
Für den Erfolg des Waldorf Microwave spricht nicht nur das breite Echo in Fachmedien, sondern auch die Tatsache, dass das Gerät bis 1997 in verschiedenen Versionen gebaut wurde. Auch die Hard- und Softwareperipherie des Gerätes wuchs produktionsseitig als auch durch das Zutun von Drittanbietern. Laut Wolfram Franke verkaufte sich der Microwave rund 3.000-mal (vgl. Franke 2020: o. S.).
Die Reaktion der Fachpresse bei Erscheinen des Microwave 1 war einhellig. Udo Weyers besprach das Gerät in der Februar-Ausgabe des Fachblatt Musikmagazin 1990 euphorisch unter der Überschrift »(R)evolution«. Dort beschrieb er ihn als »perfekten Synthesizer«, was er damit begründet, dass das Design darauf verzichte, mit der Multifunktionalität der Konkurrenzprodukte mithalten zu wollen und sich stattdessen auf die klangliche Eigenständigkeit der Wavetable-Synthese konzentriere (vgl. Weyers 1990a: 132). Soundcheck sprach in Bezug auf die Verwendung der Wave-Technologie von »alter Liebe, die neu aufgewärmt sei« (W.S. 1989: 38) und attestierte dem Gerät einen »Klangcharakter, der durch keinen anderen zeitgenössischen Synthesizer erreicht« (ebd.) würde.
Etwas zurückhaltender äußert sich Simon Trask, der in dem britischen Magazin Music Technology einen ausführlichen Bericht veröffentlichte. Er kritisierte vor allem die Qualität der Factory Sounds des ausgehändigten Testgerätes, zeigte sich aber überzeugt, dass mit der Zeit neue Sounds dazu kommen würden. Schließlich handele es sich um ein »programmers instrument« (Trask 1990: 72), also eines, das die kreative Arbeit an den Patches herausfordere und anbiete.
Waldorf selber veröffentlichte nach dem Erfolg des Microwave viele Sound-Karten. Die ersten Erweiterungen der Factory Sounds, welche die Firma auf den Markt brachte, wurden von Rob Papen bestückt. Dieser hatte zunächst in den Niederlanden Erfolge als Musiker gefeiert. Er war bei einem Test des Synthesizers in einem Musikladen von den Presets enttäuscht gewesen und kontaktierte daraufhin Waldorf. Der Erfolg seiner ersten ›Signature‹-Karte führte nicht nur dazu, dass Papen sich fortan dem Sound-Design widmete, auch wurden viele andere Sound-Designer*innen eingebunden. Papen nutzt seine Sounds z. B. auf der Produktion Echoes of Johnny seines Projektes Body Bass (1991). Viele Programmierer der ersten Stunde gehören heute zu den bekannteren Sound-Designer*innen in Deutschland. Zum Vorgehen beim Design eines Microwave-Sounds erinnert sich Wolfram Franke:
Bevor ich einen Sound anfange, überlege ich mir natürlich, was ich machen könnte. Einen Bass, Streicher, Chor, Solosound, Sequencer-Geklacker oder so. Dann natürlich den Charakter, also analog, digital, warm, kalt, viel Abwechslung oder eher statisch. Der Rest kommt dann beim Programmieren und führt einen auch gerne mal in eine komplett andere Richtung. (Franke 2020 o. S.)
Der Microwave war in mehrfacher Hinsicht ein Sonderfall des Synthesizer-Marktes am Ende der 1980er-Jahre. Japanische Firmen wie Yamaha und Roland beherrschten das Marktgeschehen mit FM-Synthese und Sample-basierten, vollintegrierten Systemen wie dem MR1 oder dem TG77, die zumeist als Audio Work Stations angelegt waren und damit auch direkt über ein Interface verfügten. Obgleich diese Geräte auch als Expander verfügbar waren, stellte die Konzeption des Microwave in diesem Marktumfeld ein Wagnis dar. Zum einen beschränkte sich seine Emulation auf die ›klassischen‹ Wellenformen des analogen Synthesizers, zum anderen war er nur als Expander ausgelegt und zuletzt besaß er im Gegensatz zu den meisten seiner Konkurrenten keine zusätzlichen Audio- oder MIDI-Effekte. Obgleich sich der Preis im Gegensatz zu den PPG-Wave-Modellen moderat ausnahm, bewegte er sich gegenüber den rasant gefallenen Preisen der anderen Systeme im oberen Mittelfeld. Dennoch etablierte sich das Gerät und schrieb sich und seine eigene Form der Klangsynthese über die Genres hinweg in den Sound der 1990er-Jahre ein. Das Design des Gerätes gibt seltene Einblicke in die ästhetisch-funktionale Gestaltung von Musiktechnologie und die Entscheidungen und Vorstellungen, die in dieses Design einflossen.
DAS DOSSIER WURDE VERFASST VON ALAN VAN KEEKEN.
Einzelnachweise
[1] Diese Angaben stammen aus einem informellen Telefongespräch, das am 20.04.2020
zum Einsatz des Microwave im CAN-Studio geführt wurde.
Quellen
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Nine Inch Nails (1999). The Fragile: Interscope Records.
The Speed Freak (1995). For You: Shockwave Recordings.
Thomas Dolby (1982). The golden Age of Wireless: EMI.
Whirlpool Productions (1996). Dense Music: ElektroMotor.
Whirlpool Productions (2000). Lifechange: WEA.
Interviews:
Damm, Michael (2020). Interview mit Michael Damm, 24.05.2020.
Franke, Wolfram (2020). Interview mit Wolfram Franke, 17.05.2020.
Hartmann, Axel (2020). Interview mit Axel Hartmann, 24.04.2020.
Abbildungen
Abb. 1:
Ganz rechts ist unter dem stilisierten Gerätenamen Seriennummer und genutzter Strom sowie Hertz-Zahl in Handschrift in Freifelder geschrieben. Das verweist auf die Produktion für verschiedene Märkte mit anderen Hausstromwerten (USA, GB). Darüber sind Firmenlogo und -name in großem Format platziert. Mario Brand.
Abb. 2: Der Regelweg
des in der Anleitung »Alpha Dial« genannten Elements ist auf 24 »Clicks«
indexiert und rastet nach kurzer Bewegung des Bedienelements ein, um die
Menünavigation und die Einstellung einzelner Werte zu erleichtern. Mario Brand.
Abb. 3: Seinen festen Platz hatte der Microwave im »Digitalrack« des CAN-Studio. rock’n’popmuseum.