Andreas Schneider
Händler

Foto: J.  Sunderkoetter

Schneidersladen

Zur Person

Andreas Schneider wurde 1965 in Bremen geboren. Er arbeitete unter anderem als Tellerwäscher, Caterer, Manager einer Rapgruppe und Marketing Assistant des damals noch jungen Musikfernsehens VIVA. Ausgebildet wurde er zum Groß- und Außenhandelskaufmann, ein Studium an der Hochschule für Transportwesen/Logistik hat er abgebrochen. 1998 zog er nach Berlin und machte sich dort recht schnell als 1-Mann Vertrieb einen Namen in der Techno- und Synthesizer-Szene. Schon Mitte der 2000er-Jahre, zu Beginn des modularen Revivals, entstand über ihn und seinen Laden der Dokumentarfilm »Totally Wired«, in dem namhafte Hersteller*innen und Nutzer*innen zu Wort kommen. Die »SUPERBOOTH«, die 2002 erstmals als »Messe auf der Messe« in Frankfurt stattfand, entwickelte sich zu einem eigenen Event in Berlin seit 2016. Heute zählt SchneidersLaden als Fachgeschäft zu den Topadressen in Europa, wenn es um modulare Synthesizer, deren Zubehör und auch etwas abseitige Klangerzeuger geht.

Das Interview ist in drei Abschnitte geteilt. Sie können es mithilfe der Buttons entweder chronologisch oder thematisch lesen. Eine Infobox zu Modularen Synthesizern bietet zusätzliche Hintergrundinformationen.

Ich muss zuhören und letztendlich ist  [...] der Hersteller eines Produktes mein Kunde. Für den geb' ich mir Mühe, seine Vision an die Weltöffentlichkeit zu kommunizieren, indem ich als SchneidersLaden Kunden informiere, schule und ihnen erkläre, was es für Möglichkeiten gibt. [...] Als Vertriebsfirma mach' ich das eben generell und die Vision ist, dass wir das Wissen vom Hersteller so kommunizieren, dass die Musiker weltweit sagen ›Das ist geil, das brauch' ich, das versteh' ich‹.

Anfänge und Philosopie

Musikalische Sozialisation in Bremen und erste Erfahrungen mit Synthesizern und dem Musikbetrieb

Schon früh macht Andreas Schneider Erfahrungen im Musikinstrumentenhandel. Während ihn dort die Tasteninstrumente am meisten interessieren, lässt er die ebenfalls ausgestellten Synthesizer links liegen. Auch in der Bandpraxis verläuft der »Erstkontakt« recht unspektakulär:

Das war n' Moog Prodigy und der hatte auch noch so'n Yamaha CS Orgel-Keyboard. Aber eigentlich habe ich ansonsten mich immer auf Orgeln gestürzt. […] Für die basischen Akkorde, konntest du monofone Synthesizer nicht gebrauchen, das ist ja eigentlich ein sehr beschränktes Gerät und die eigentliche Vision eines monofonen Synthesizers habe ich auch erst zwanzig Jahre später kapiert, als ich meinen Laden aufgemacht habe und dann dachte ›Das müsstest du doch kennen‹ und ne, ich habe/ das war die Funktionalitäten theoretisch auch mit 16 schon mal mir reingepfiffen und versucht anzulesen, aber letztendlich habe ich den Prodigy nie so richtig verstanden, wie ich ihn heute verstehen würde. Ich hab' damals daran rumgespielt, wie jeder Neukunde.

Weitere Banderfahrungen kommen dazu, auch negative. Als Schneider mit 18 in einer SKA-Band seine zweite EP aufnimmt, in der er den Bass über ein Casio-Keyboard spielt, kommt er erneut in Kontakt mit einem Synthesizer: Den Bass, so verlangt es der Produzent von ihm, solle er lieber mit ein Minimoog einspielen. Das Gesamtergebnis ernüchtert Schneider – »ein Engineer hat immer seine Vorstellung, wie das zu klingen hat. Schon bei der ersten Single mit 16 hatten wir eigentlich Punk, NDW und Trash gemacht und was daraus ›produziert‹ wurde war Möchtegern Pop und leider Schrott.« Aber er hatte sich damit auch wieder ein bisschen mehr dem Apparat genähert, der später im Zentrum seines Interesses stehen wird. Es schließt sich eine kaufmännische Ausbildung an, in der Schneider vor allem lernt, »wie man sich am Telefon verhält«, Waren importiert und exportiert und sich mit Spediteuren und Händler*innen verständigt.

INFOBOX MODULARE SYNTHESIZER

Modulare Synthesizer, die »Ur-Form« des Synthesizers. Robert »Bob« Moog, einer der »Väter« des Synthesizers, debütierte 1967 mit seinen Moog Modular, der die Größe eines Schrankes erreichte und prominent in »Switched-On Bach« durch Wendy Carlos bedient wurde. Während Moog zum Bau kompakter und mit Tastatur ausgestatteter Instrumente überging, ist noch ein anderer Name eng mit der Instrumentengruppe verbunden: Don Buchla: Bis heute verweigern sich seine Module – die häufig eher im experimentellen Bereich zum Einsatz kommen – dem »traditionellen« Interface; eine Klaviatur ist an seinen bunten Ungetümen nicht zu finden. 

Dieser »Philosophie« fühlen sich auch viele heutige Mitglieder der Modular-Szene noch verpflichtet. Wie funktionieren modulare Synthesizer? Alle Bestandteile der Klangerzeugung und Steuerung wie VCO (voltage controlled oscillator), ADSR (Hüllkurve), LFO (Modulation), Effekte und auch Sequenzer sind als einzelne Module angelegt und müssen über Patchkabel miteinander verbunden werden. Es bleibt den Nutzer*innen dabei überlassen, welche Signalwege sie dabei einschlagen: Durch die »analoge« Verbindungstechnik zwischen den verschiedenen Modulen ausschließlich über sichtbare Buchsen und Kabel lassen sich Klänge und Einstellungskombinationen (Patches) nicht speichern, die gesamte gegenseitige Steuerung der Prozesse erfolgt über kreativ und frei zu verlegende Kontrollspannungen (CV).

In den folgenden Formationen qualifiziert ihn das immer für den (Neben-)Beruf des Bandmanagers der »nicht zur Probe kommt, weil er etwas im Büro zu erledigen hat und der Erste ist, der rausfliegt, weil er nicht geübt hat«. So entsteht »SchneidersBüro« als Managementfirma. Die Musiktechnologie begleitet ihn weiter: Die Komposition für eine seiner damaligen Schützlinge, eine Big Band besorgt er an einem Atari 1040  ST. Er habe gelernt,

wie man auch mit wenig super geilen Thrills auf ner Tastatur ne Komposition über einen Musikcomputer […] macht, die man dann auf zehn verschiedenen virtuellen Instrumenten sich anhört und aufnehmen kann. Also ich spiel' die Bassmelodie, dann spiele ich dazu mit ner Tastatur ne Trompetenmelodie und dann schiebe ich dazu, wie es gerade schön klingt noch ne Posaunenmelodie und dann kann ich mir das alles anhören, und wenn mir das gefällt, kann ich die Noten ausdrucken, verteilen und sagen ›Hier, macht mal.‹

Der offizielle Musikbetrieb enttäuscht ihn weiter: Frustriert vom Management einer Hip-Hopband und der Arbeit bei dem damals mit Regionaldependancen vertretenen VIVA landet er nach einem Kurztrip durch Europa 1998 in Berlin.

»Gruppendynamische Prozesse« – erste schritte in der (Berliner) Szene

In Berlin kommt Schneider durch persönliche Kontakte schnell in Berührung mit der Synthesizer- und Technoszene. Ihm gefällt die unprätentiöse Musikkultur in der Stadt, vor allem im Kontrast zu den »Profilneurosen-Kamelle«, die er als Manager und VIVA-Mitarbeiter erlebte. Innerhalb kurzer Hier nimmt SchneidersLaden seinen Anfang: Er baut sich einen Schreibtisch bei einem kleinen Hersteller von Rhythmusmaschinen auf und erledigt für ihn den Vertrieb. Es kommen weitere Manufakturen und kleinere Betriebe dazu, die er auf Messen vertritt – innerhalb weniger Jahre wird sein Geschäft dabei zum Knotenpunkt zwischen Szene, Kleinstherstellern, Großvertrieb und auch europäischen und internationalen Händlern. Er versteht sich dabei nicht nur als reiner Verkäufer, sondern – wie schon in seiner Rolle als Bandmanager - auch als Mediator:

Weil genau das, was wir hier machen, nämlich die interdisziplinäre Arbeit einer Gruppe, die eigentlich nichts miteinander zu tun hat, wo eine Vielzahl von Kleinstunternehmern miteinander eine Gruppe bildet und eine viel größere Außenwirkung potenziert als sie in ihrer Einzelwirkung hätten, das ist das eigentlich Erhaltenswerte und eine Pflanze, die gegossen werden muss.

Der Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder fällt: »Gruppendynamische Prozesse«. Schneider zieht mit seinem Vertrieb in Bürogemeinschaften (unter anderem mit einem Schweizer Architekten und seiner späteren Frau, die zu dieser Zeit Comics animierte) in ein Hochhaus am Alexanderplatz, das  ehemalige »Haus des Lehrers«. Eine Doktorarbeit, die dort entsteht und diesen klingenden Begriff definiert, basiert auf dem, was in der losen Bürogemeinschaft passierte. Wissen wurde geteilt, Konkurrenz vermittelt und neue Projekte initiiert: die auf Basis der dort praktizierten »interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft« das zum releventen Prinzip erhebt, was in der losen Bürogemeinschaft passierte.

Ich war der festen Überzeugung, jeder braucht Synthesizer und deswegen habe ich auch skrupellos nem Architekten den Synthesizer erklärt, der irgendwie mir vor die Flinte gelaufen ist. Habe ich gesagt ›Guck mal hier, wie geil‹ ›Aha, so geht das, aha.‹ Und dann hat der Architekt mir den Alexanderplatz erklärt, so. Aber denn hat der Fotograf n' Foto gemacht und dann ist daraus natürlich auch ne Gruppe entstanden.

Und das alles am besten in einem räumlichen Setup, in dem man sich häufiger über den Weg läuft. Bis heute zieht sich diese Sichtweise wie ein roter Faden durch Schneiders Wirken: Unser Interview findet in einem Büro in Kreuzberg statt, dass auch Teil eines solch engen Verbundes aus verschiedenen Manufakturen, (Musik)studios und Geschäftsräumen darstellt, in denen immer irgendwo an neuen Synergien gearbeitet zu werden scheint. Gruppendynamische Prozesse finden aber auch in einer Band bzw. beim gemeinsamen Musizieren statt. Für Schneider liegt es da nahe, dass er und seine Kolleg*innen (der Superbooth GmbH) sich einmal im Jahr zurückziehen um Musik zu machen:

[D]a haben wir uns verdonnert, dass wir einmal im Jahr zusammen Musik machen. Und da fahren wir immer aufs Land und haben da n' Saal und jeder bringt was mit und da steht meine noch heute vorhandene Vermona-Orgel.

Schneidersladen und Superbooth

Vertrieb tut not – zwischen Tüftlern und Markt

Dass Berlin eine blühende Szene innovativer Hersteller von (modularen) Synthesizern und anderen Musikmachdingen aufweist, bemerkt Schneider damals schnell. Aber auch, dass es den hochversierten Tüftler*innen häufig an kaufmännischem Geschick oder einer Vermarktungsstrategie fehlt. Mehr als einmal hat er es in seiner Zeit als Vertriebler schon erlebt, dass ein manisch betriebenes Projekt die Zukunft eines Betriebes aufs Spiel setzte. Sein erster »Auftraggeber« klagte ihm das Leid über Händler, »die alle scheiße« seien und ihn »abziehen« würden. Auch verzweifelt dieser daran, »das irgendwie keiner seine Maschinen« verstehe. Schneider sieht in Folge die Notwendigkeit, dass ein Vertrieb zwischen Firma und Großhandel, als auch zwischen Kund*in und Hersteller zu treten habe:

Und das habe ich dann übernommen. Und da habe ich auch gelernt, dass man das für diverse Hersteller übernehmen kann, weil die alle nicht in der Lage sind, weil das liegt […] in der Natur der Sache. Wenn ich etwas baue, dann ist es irgendwann fertig und dann habe ich schon genug zu tun, das zu bauen […] und wenn dann noch einer kommt und ›Wir brauchen zehn davon‹. dann habe ich noch mehr zu tun als Hersteller. Und da kann ich nicht noch zusätzlich mich um die Anwender kümmern, das ist eine ganz andere Disziplin. Um ein Gerät zu verkaufen, ist eine ganz andere Disziplin als ein Gerät zu bauen. Das Wissen alle und das ist eigentlich auch klar, der Einzige, der das nicht versteht, ist derjenige, der das baut.

Abb. 1: Musterkoffer und Andreas Schneider.
Foto: Penko Stoichev

Um die Apparate zu verkaufen, führt er immer seine »Technomaschine« mit, einen Musterkoffer, in dem er die Geräte der Hersteller, die er vertritt, immer vorführen kann. Von den Herstellern lässt er sich diese genau erklären. Schneider ist in dieser Zeit in ganz Europa unterwegs, auf Messen wie auf Musikevents wie der Loveparade präsent und schafft es sogar, einige Produkte an einen großen deutschen Musikhandel zu vertreiben. Um das Verständnis der Geräte zu vermitteln und zu vermarkten kommt es Schneider auf die Verbindung zwischen Produkt und Hersteller an. Zum einen gehe es darum, die Firma so persönlich wie möglich auf die Tüftler und Bastler zuzuschneiden: Die Hersteller*innen sollten aufhören,

über ihre Firma als ›Wir‹ zu sprechen im Plural, sondern zu sagen ›Das bist du, Jürgen. Du bist Jürgen Michaelis von ehemals Extended und das ist die Firma JoMox und das Produkt ist ein JoMox und du bist Jürgen Michaelis, du bist der es macht, du bist der, der es definiert, du bist der, der es vertritt, du bist der, der es erklärt. Und dann ist auch für den Kunden, der dir zuhören darf ein persönlicher Bezug […] zum Gerät vorhanden und dann funktioniert die ganze Kette auch hervorragend.‹

Diesen Zusammenhang spitzt er sogar zu. Dabei legt er Wert auf den Synthesizer als Vermittler einer persönlichen Vision bzw. Philosophie der Hersteller:

Es geht gar nicht um die Geräte, es geht um die Leute und die Vision dahinter' , das heißt ich muss mir den Hersteller angucken. Warum hat er das Gerät gebaut? Wofür hat er das Gerät gebaut und was will er damit machen, damit ich verstehe, wie ich das anwende. Dann brauch' ich auch keine Bedienungsanleitung mehr, wenn ich seine Philosophie dahinter verstehe. So hab' ich meine Produktauswahl betrieben und so habe ich auch versucht mein/ meine Produktwerbung zu definieren, indem ich sage 'n Synthesizer ist so gut wie der Typ dahinter und funktioniert auch so' und deswegen musst du eigentlich wenn du, was weiß ich, Acid-Musik machen willst, musst du nen Acid-Head dahinter haben, der das dafür konzipiert und dafür das Ding definiert oder du musst es ihm erklären, was du damit machen willst.

Show'N'Tell – ›Der Oszillator kann lambada‹ und der Showroom

Schon früh stand für Schneider die ästhetische und sinnvolle Präsentation und Bereitstellung von immer mehr Synthesizern, Modulen und anderen Apparaten im Vordergrund, auch wenn er dafür nur sich selbst als Maßstab nehmen kann: »Aber ich kann ja nicht für die Kunden denken, ich kann nur für mich denken. Und deswegen will ich, dass es für mich gut funktioniert, dann habe ich ein gutes Gefühl mit dem Schauraum«. Bis heute legt er in dieser Hinsicht selbst Hand an: »[…] ich bin dann höchstens derjenige der irgendwelchen Crap noch mit reinbringt und sage ›Stell' da noch n' Stuhl hin, stell' das da auf den Tisch‹ und eher so die ästhetische Raumordnung herstellt. Also das ist immer noch meins.« Zentral für die Inszenierung, so betont es Schneider, sei zudem das Vorhandensein von Lautsprechern: 

Auch die Beratung in Bezug auf Einsatzgebiet, Funktionsumfang und Kompatibilität nimmt eine zentrale Rolle ein. So zum Beispiel Bis vor kurzem, so betont es Schneider, war die dazugehöre »Wissenssammlung […] nicht konsequent in der Netzöffentlichkeit abgebildet«, daher sei man als »Fachberater« anerkannt: Es ginge darum »dass man damit am Ende auch Spaß haben kann und kein digitales Rauschen hier und die Schraube passt da nicht rein und wie mach' ich das denn, wenn das Ding nach Ammie-Land trage und was brauch' ich'n dann«. Gerade in Zeiten des Onlinehandels mache man diesen Aspekt stark. Ein Mitarbeiter von Schneider, der die Geräte auch ausgiebig antestet, greift prominenten Kund*innen häufiger unter die Arme: er sei »aktuell immer mal im Sonderurlaub, weil er auf Ibiza irgendwelche DJ-Fritzen berät, wie sie ihr Buchla-System patchen sollen, weil sie es selber nicht verstehen, aber das Geld muss ja weg.«

Abb. 2: Ein Blick in Schneiders Laden.
Foto: Evi Kruckenhauer

Schon früh ging die gesamte (internationale) Technoszene bei Schneider ein und aus, auch wenn es öfters vorkam, dass er Prominente wie Ritchie Hawtin gar nicht erkannte und ihn seine Frau auf die Sprünge helfen musste, wenn ihn

irgendwelche Popstars besucht haben, von denen ich gar nicht wusste, dass sie Popstars sind. War mir auch scheißegal, ob da der Kaiser von China oder die Wurst mit Durst reinkommt, wenn der sich für die Geräte interessiert und sich anständig benimmt, und freundlich Guten Tag sagt, dann hab' ich die [Apparate] dem erklärt.

Diese Art, die von Ruhm und Status absieht und das Interesse an den Apparaten ernst nimmt und sie ausführlich erläutert, hat wohl mit dazu geführt, dass er bis heute vielen als erste Anlaufstelle gilt, wenn es um (modulare) Synthesizer geht:

›Ne, kauf' mal da.​‹ Weil die Berlin-Techno-Fritzen haben auch schon gesagt ›Ich geh' doch nicht zu Just Music, ich geh' doch nicht da rein/ bist du bescheuert? Du hast mir das Ding erklärt, also ich will das Ding jetzt von dir kaufen.‹

Auch gäbe es durchaus einen kulturellen Unterschied, Synthesizer sei eben nicht gleich Synthesizer, Schneider formuliert die Gedanken seines Zielpublikums so:

Wir gehen nicht zu so'm Pfeifenladen und lassen uns diffamieren dafür, dass wir nicht mal wissen was bei welcher Taste welcher Ton ist'. Die, so'n Ricardo Villalobos oder Richie Hatwin, den interessiert doch nicht was A-Dur und C-Moll ist. Die machen Musik.

Wie er den Synthesizer in diesem Zusammenhang als Instrument versteht, verdeutlicht er sehr konzise in einem anderen Teil des Interviews:

Abb. 3: Die Superbooth.
Foto: Evi Krickenhauer

Die schönste Kakophonie des Jahres

Schon in seinen frühen Jahren war SchneidersLaden auf den wichtigen Musikmessen in Deutschland präsent. Die Anfänge auf der Frankfurter Musikmesse klingen noch recht abenteuerlich: Nur einen Tisch und seinen Musterkoffer stellt Schneider auf, der Rest besteht aus ein paar Gespräche, Absinth, Sekt, viel Rauch in der Halle und Musik machen. Langsam, aber sicher entwickelt sich daraus jedoch eine »Messe auf der Messe«. Zusammen mit immer mehr kleinen Herstellern schafft es Schneider für »15 Jahre immer den höchsten Kopf-pro-Quadratmeter-Faktor« auf seiner »Messe auf der Messe« zu erreichen. Er überzeugt seine Mitstreiter*innen mit dem Verweis auf die Macht der großen Player:

Wir sind nicht Roland, nicht Korg und Yamaha und das/ und auch nicht Casio und das wollen wir auch nicht sein. Wir sind Vermona, Elektron und/ aber ist auch scheißegal, wir sind der Haufen kleine Krauter und wir machen ein anderes/ wir sind ne Gruppe. Wir müssen als Gruppe auftreten, dann sind wir genau so groß wie Roland, Korg und Yamaha.' […] wir hatten immer was zu trinken, gute Laune, abends Parties wo es nett ist. Bei uns waren sogar Frauen aufm Stand!

Die Musikmesse in Frankfurt am Main ist für Schneider spätestens 2016 zu klein. Darüber hinaus will er weg von dem reinen Verkaufsevent. Denn die »Synthesizerscape«, die Diskurse rund um die blinkenden, merkwürdig klingenden Instrumente erschöpfen sich nicht in Absatzzahlen oder »Jahreszusatzvergütungen« der Außendienstler. Oft fehle da, so betont er es an mehreren Stellen, die »Passion«. Es braucht, so rechtfertigt es Schneider, ein

[…] Diskussionsforum, wo man sich darüber unterhält. So, jetzt kommt's. Messe Frankfurt braucht es nicht, da geht's um […] verkaufen, verkaufen. Die NAMM ist genauso. Messe Leipzig ist genau so, ist alles Messe-Scheiß. Mir müssen die Kommunikation der Händler und Hersteller untereinander neu denken und müssen die anregen, sich neu definieren zu können und sich auch selbst zu hinterfragen. Das wäre meine Hoffnung und darum habe ich dann irgendwann den Schritt gewagt und hab' mit zwei Freunden die Superbooth Berlin GmbH gegründet und wir haben gesagt, wir müssen ne eigene Messe machen, wo die Leute zusammen kommen und wo auch über andere Sachen geredet wird, als über ›Ich hab' den geilsten Außendienstlerwagen vor der Tür‹ und was weiß ich, keine Ahnung.
[…] die ganzen Vertreter […] die kommen ja alle zu SchneidersLaden und sagen ›Ey, wir haben hier n' ganz tolles, das müsst ihr, müsst dies kaufen, ihr müsst das machen​‹ und wir sind inzwischen ganz geübt darin zu sagen ›Ah, […] ja danke tschüss. Da ist die Tür, weg.‹ Und ›Nein, ihr dürft nicht in den Laden. Nein, ihr dürft auch hier keine Fotos im Laden machen, tschüss.​‹ Weil's anders funktioniert bei uns und weil's auch anders funktionieren soll.

Seine Befürchtung: Gerade kleine Hersteller würden mit Angeboten wie einem kostenlosen »Online-Shop« geködert. Verkauft sich ihr Produkt gut, würden sie dann von der betreffenden Plattform »kaputt​« gemacht, das Geschäft übernommen.  Aber auch einige neuere Entwicklungen bei den Herstellern missfallen dem Synthesizerfan wie auch dem Händler Schneider. So versteht er weder die hohen Preise einiger ausgefallener Module (den gängigen Begriff »Boutique« findet er dabei unpassend), wie sie seine jungen Mitarbeiter feiern, noch die Tendenz, dass versucht wird, von einer Firma jedes Modul anzubieten:

Ich halte es auch nicht für gut, dass die sich da nicht einigen können oder einander annähern, aber das ist natürlich Resultat von Profilierung, die auch dazu führt, dass die alle jetzt ihre eigenen Systeme als Komplettsysteme anbieten wollen und das als letztes Argument in der Multiplizierung der Angebotsmöglichkeiten jetzt wieder zurückkommt. […] Aber für den individuellen Kunden und das beworbene Konsumentenopfer des einzelnen Herstellers ist das natürlich von großer Wichtigkeit, dass der der Marke treu bleibt und zu seinem ACL Oszillator auch das ACL Multiple kauft bitte schön, weil das für den Umsatz und Gewinn ist. Für uns als Händler ist das ja, irgendwie schade.

Nachhaltigkeit und Digitalisierung

Schneider spricht immer wieder auch den Aspekt der Nachhaltigkeit an, der eng mit den immer wieder wichtigen »Wesensunterschieden« zwischen Digital und Analog bzw. zwischen Soft- und Hardware verbunden ist. So bestehe ein Nachteil digitaler, aufwendiger Schaltungen häufig in notwendigen Updates, die das Gerät irgendwann unbrauchbar machen würden. Deshalb ist für ihn der »Glaube an die Hardware« ein fester Bestandteil und – wenn auch nicht immer durchhaltbarer – Teil der Philosophie seines Vertriebs. Diese Überlegungen gelten nicht nur für »digital basiertes Zeug, was dann eine monofunktionale Anwendung simuliert.«:

Also auch bei Korg Polysix Syntheziser von weiß ich nicht, 1990 oder 80. Da gibt es irgendn' Bauteil, was es nicht mehr gibt. Wenn das kaputt geht, und die gehen kaputt nach Laufzeit xy, hast du n' Korg Polysix gehabt. Ende. Ensoniq Keyboard steht eins in unserer gerade auszuräumenden Werkstatt, gibt's keine Teile mehr für. Kannst du wegschmeißen. […]. Und eigentlich will ich das nicht und ich will lieber Produkte haben, wo du irgendwas drin hast, was irgendwie wieder herstellbar ist, weil es so dermaßene Standardteile sind, dass die Hoffnung besteht, dass du sie entweder noch neu kaufen kannst, auch noch in 50 Jahren.

Er spekuliert im Anschluss darüber, ob sich in Zukunft inspiriert durch Materialknappheit und nachhaltigere Konzepte wieder – wie in früheren Bastelkulturen – die Ausschlachtung von alten Radioschaltungen durchsetze. Nachdenklich macht ihn auch die Anspruchshaltung in Bezug auf die internationale Verfügbarkeit und die dadurch entstehenden Transportwege, seit wann sei es normal geworden, nicht mehr »ne Woche [auf ein Produkt] zu warten oder vielleicht sogar drei Monate«? Als Utopie in Sachen Nachhaltigkeit formuliert Schneider zudem auf Grundlage der großen Herstellervielfalt in den USA wie in Europa bzw. weltweit eine Selbstbeschränkung: 

Und bei Vielfalt des Marktes, die jetzt entstanden ist, kann man auch schon wieder n' Schritt weiterdenken und sagen, das was hier in Europa gefragt wird, das müsste doch hier den Europäern genügen für ihren europäischen, kulturellen Anspruch. Und das, was in Amerika gefertigt wird, das müsste doch den Amerikanern genügen für ihren amerikanischen, kulturellen Anspruch. Also ohne, dass ich jetzt als, ich denke absolut anti-national, aber ich denke einfach, unter ökologischen Aspekten wäre das auf jeden Fall ein ganz großer Gewinn, wenn das gegenseitige Abkupfern mit ›Oh, der hat jetzt n' Oszillator, der hat jetzt auch noch n DIP-Schalter [?] und ah, machen wir/ das finde ich gut, machen wir bei unserem Oszillator auch n' DIP-Schalter rein‹.

DAS INTERVIEW WURDE GEFÜHRT VON ALAN VAN KEEKEN.

Abbildungen

Abb. 1: Musterkoffer und Andreas Schneider. Penko Stoichev.
Abb. 2: Ein Blick in Schneiders Laden. Evi Kruckenhauer.
Abb. 3: Die Superbooth. Evi Krickenhauer.