Heike Suermann alias
dJ femalemacho
Musikerin

Foto: Heike Suermann

Vom Mixtape zum DJ-Pult

Zur Person

Heike Suermann wurde 1964 in Münster geboren. Sie wuchs mit viel Musik um sich herum auf und lernte die Vorteile einer guten Anlage im Partykeller der Eltern kennen. Schon früh versuchte sie sich an der Kuratierung von Musik und verschickte selbst zusammengestellte Musik und »Sprachnachrichten« auf Kassetten. Sie zog in den 1980er-Jahren nach Berlin studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste in Berlin und und arbeitete u. a. als Kostümbildnerin. Dort kam sie auch in Kontakt mit den aufblühenden Szenen elektronischer Tanzmusik. Während sie ein Faible für House entwickelte und auch in die Technoszene eintauchte, waren es die ersten 1980er-Retrowellen im Rahmen des sogenannten Elektroclash, die sie selber hinter das DJ-Pult führten. Dort entwickelte sie zunächst einen sehr eigenen Auflegestil, der vor allem die besondere Auswahl in den Vordergrund stellte – von Disco über House bis No Wave. Heute kombiniert sie verschiedenste Speichermedien und DJ-Hard- und Software um in sehr unterschiedlichen Settings zu arbeiten. 

Das Interview ist in drei Abschnitte geteilt. Sie können es mithilfe der Buttons entweder chronologisch oder thematisch lesen.

Es ist zwar auch Intuition, es hat aber auch etwas mit so einem ganz krassen Wort zu tun und das heißt Zeitgeist. Das ist mega wichtig. Weil ich zu bestimmten Zeiten auch gewisse Sachen spielen kann, weil dann - bei mir selber auch - ein bestimmtes Bewusstsein da ist. […] Wenn du die ganze Zeit dabei bist, sind die Trends sozusagen schon in dir und du hörst dann: Da ist so ein Zwischenton, da hast du auf einmal so ein Zwischenwissen, auf das Du zurückgreifen kannst: und dann kannst Du 2019 plötzlich wieder ein Stück spielen, das vor 20 Jahren das letzte Mal ›lief‹.

Die Vorgeschichte

Das Gebirge Überqueren

Heike Suermann wird 1964 in Münster geboren, in »Westbam-City« wie sie sagt und kommt schon früh in Kontakt mit Musik, die sie »sonst nie gehört hätte«. Bis heute prägt ein außergewöhnlicher Musikgeschmack ihre Arbeit als DJ. Eine Sendung, die dabei eine besondere Rolle spielte war die Radiothek des WDR, in der sie Tangerine Dream, CAN und andere »Krautrock-Bands« kennen lernte:

Das eine ist Radiohören. […] Da habe ich, ich glaube schon WDR Radiothek [gehört, AvK]. Da gab es Sachen, die ich sonst nicht gehört habe zuhause. Weil das ist das andere. Also zuhause gehört tatsächlich bei meinen Eltern im Partykeller Vinylplatten. Boney M., big time favorite von mir. Night Flight to Venus. So das war so das eine und irgendwelche Schlagersingles von meiner Mutter. […]

Ein erstes eigenes Gerät, womöglich ein günstiges, mobiles Modell eines Versandhauses wie Neckermann oder Quelle ermöglichte ihr auch das Aufnahmen aus dem Radio. Bald sollte es jedoch schon ein zweites Gerät mit mehr Funktionen sein. Die Wahl fiel auf ein Doppeltapedeck von Onkyo als Teil einer Anlage. Damit war es Suermann sogar möglich, die Tapes zusätzlich zu besprechen und Kassetteninhalte hin und her zu kopieren. Dabei entwickelte Sie eine eigene Praxis, die daraus bestand, Mixtapes mit einer Botschaft zu versehen und dann an Bekannte zu verschicken:

Joa und das war dann für sehr lange mein Equipment, bis ich dann nach Berlin gekommen bin. Also das war so das Ding, dass ich Tapes selber gemacht habe, Tapes empfangen habe, Tapes auch, wenn mir letztens jemand gesendet hat, besprochen habe, was drauf gesprochen und dann so meine neuen Lieblingssongs vorgestellt habe.

Das klang dann z. B. so:

Von diesen »Sprachnachrichten« besaß sie bis vor kurzem kein einziges Exemplar mehr. Nur durch einen alten Freund wurde ihr dieses wieder zugespielt. Im Jugendzimmer blieb es zunächst bei dem Doppeltapedeck. Umso wichtiger waren für Suermann die selbst aufgenommenen Kassetten, die sie in einem Koffer aufbewahrte und zurzeit wieder durchforstet und für sich katalogisiert:

Ich hatte keinen Plattenspieler in meinem Zimmer, da hatte ich nur das Doppeltapedeck und das war mega wichtig. Und ich habe auch noch, ich glaube mindestens fünfzig bis siebzig Tapes, das ist jetzt grad meine selbstgewählte Aufgabe, dieser blaue Koffer voll, das daneben, da hinten sind auch noch welche. Ich kann mich noch nicht trennen von denen, weil das auch, ja diese Tapes ist dann für mich wirklich wichtig geworden, also da hatte ich die, das war meine Quelle sozusagen. Ich bin nicht auf die Idee gekommen, Plattenspieler oder Platten zu kaufen, das habe ich erst viel später gemacht.

Abb. 1: Koffer mit Tapes.
Foto: Alan van Keeken

Nach ihrem Studium zieht Suermann nach Berlin und arbeitet dort als Kostümbilderin. Sie erlebt die aufblühenden Szenen elektronischer Tanzmusik, lernt über Partys im legendären Tresor und andere DJs viele neue Musikrichtungen kennen und begeistert sich besonders für Housemusik:

[…] also ich habe glaube ich bis Anfang der 90er-Jahre einfach immer noch so diesen 80er-Underground oder No Wave oder auch Gitarrenmusik, […] gehört und dann habe ich irgendwie mitgekriegt, dass es elektronische Musik gibt, dass es Acid gibt und so weiter und ich wusste nichts davon und Gott sei Dank habe ich da in Berlin gelebt und habe dann auch wieder durch Radio, […] von den Partys hier erfahren und vor allem auch Monika Dietl, die dann Housetracks glaube ich gespielt hat. [...] wirklich nur so Techno und das waren Sachen, die ich nicht so richtig cool fand und dann gibt es hier eine, gab es hier eine sehr kleine Szene und das war mein Begehr, wirklich möglichst alle kennen zu lernen, vor allem die DJs und an deren Musik zu kommen.

Suermann betont im Interview, dass alle Teil der kreativen Atmosphäre waren, Produzierende wie Konsumierende: »Weil ich selber ein aktiver Clubgänger war, haben wir alle zusammen gehört. Ob du jetzt aufgelegt hast oder […] nicht […], du warst einfach als Konsument oder als Ideengeber, […] ein wichtiger Teil davon […].« Die Idee, in dieser kleinen lebendigen Szene selber als DJ aktiv zu werden kommt Suermann zu diesem Zeitpunkt noch nicht, auch wenn es zunächst nur sehr wenige House-DJs gibt:

Ich bin leider nicht auf die Idee gekommen, dass ich das selber sein kann, dass ich in einen Plattenladen gehen kann, das war Anfang der 90er-Jahre nicht für mich, ich habe acht Jahre gebraucht, um zu sagen: Du kannst selber in einen Plattenladen gehen und dir eine Platte kaufen. Ging nicht klar bei mir im Kopf.

Den Weg zum Auflegen beschreibt Suermann als einen »Gang über ein Gebirge«: Doch Möglichkeit und Potential liegen schon länger in der Luft. Schon vor Berlin war sie in Münster Teil von Freundeskreisen und Szenen, in denen das Gespräch und der Austausch über (neue) Musik, das gegenseitige Tauschen und Leihen eine große Rolle zukam. In Berlin intensivieren sich diese Kommunikationswege sogar noch:

Dass man sich über Musik unterhalten hat. Das ist eigentlich genau das, was ich am allermeisten gemacht habe. Die haben irgendwo zusammengehangen, das war so wohl auch schon Anfang 80er-Jahre in Münster, also das war meine Lieblingsbeschäftigung. Mit Leuten abzuhängen, Musik zu hören, sich gegenseitig was vorzuspielen und dann diese Musik zu kopieren oder zu fragen: Woher ist das? Kann ich das kopieren? Nimmst du mir die Kassette auf und so weiter. Und das habe ich in den 90er-Jahren hier war die absolute Lounge mehr oder weniger in diesem Zimmer. Da habe ich mit meiner damaligen Mitbewohnerin, die halt auch sehr viel später erst ein erfolgreiches DJ-Team gebildet hat, Musik angehört, mit Leuten angehört, also ausgegangen, Tapes bekommen, Tapes weiter hier gehört und ja, das ist das, was ich wichtig fand. Und dann, als es irgendwann diesen für mich großen Schritt, fast wie so ein Gebirge überqueren, selber Platten kaufen und selber präsentieren in meinem Namen.

Genre: DJ FEMALEMACHO

Obwohl Heike Suermann viel in musikalischen Kreisen unterwegs ist fängt sie erst Ende der 1990er-Jahre an, selber aufzulegen. Kurz davor hat sie das erste Mal angefangen selber Platten zu kaufen, davor war ein CD-Player dazugekommen. Allerdings bereut sie, dass sie viele Klassiker, die sie noch aus ihrer Jugend kannte, nicht »nachgekauft« hat:

Also Tapedeck, CD-Player kam dann dazu und dann bei mir dann erst so Mitte, Ende der 90er-Jahre einen Plattenspieler und dann einen Technics und da habe ich dann angefangen, Vinyl zu kaufen und habe dann viel in Second-Hand-Läden auch gekauft, also habe auch so Sachen nachgekauft die ich noch in Erinnerung hatte, so aus den eigentlich auch wirklich 70er- und 80er-Jahre-Sachen. Gar nicht so viele fehlte, hätte ich ja eigentlich machen können, leider habe ich es nicht gemacht, ich habe nicht viel oder fast nichts, ich habe keine House oder so, also mich hat damals, genau, das ist vielleicht noch wichtig, zu sagen, mich hat damals mehr House interessiert als Techno, also musikalisch. Ich bin natürlich zu diesen Partys gegange. Aber so für mich selber, was ich so auflegen wollte oder was ich spannender fande, war auch schon House.

Abb. 2: DJ Pult DJ Femalemacho.
Foto: Alan van Keeken

Wirklich zum DJing kam Suermann allerdings weder durch Techno noch Housemusik, sondern durch Elektro-Clash. In diesem hybriden elektronischen Genre werden Elemente von Rock und vor allem Punkrock mit elektronischen Beats zusammengebracht. Wichtige Vertreter*innen waren DJ Hell, Chicks on Speed oder Sofie O. vs. Tok Tok. Eins der wichtigsten Zentren der Szene lag in Berlin. Jetzt machte sich Suermanns musikalische Sozialisation in den 1980er-Jahren, vor allem in Bezug auf abseitige Post Punk und No Wave Musik bezahlt:

Ich habe ja erst so 98 angefangen aufzulegen und da haben mich halt auch schon diese eklektischen Sachen interessiert […]. Genau […] gesagt habe, ey, das hört sich an wie und habe mir das dann herausgesucht oder Leuten, jungen Leuten, die nicht in den 80er-Jahren Musik gehört haben, weil sie da noch gar nicht geboren waren oder gerade geboren waren, da wollte ich dann einfach so die Sachen raussuchen und dann so ey guck mal, das gab es da schon oder das sind spannende Sachen und das war auch so der Grund, warum ich dann angefangen habe aufzulegen und da ging es mir tatsächlich wirklich auch um diese diversen Richtungen, die ich dann miteinander verbinden wollte. Deswegen ist das Mixing bei mir auch so ein bisschen an letzter Stelle gewesen.

Damit spielt Suermann auf ihre sehr eigene Art Aufzulegen an. Denn es ging ihr mehr um Kuration, denn um das in elektronischer Musik verbreitete »Beat-Matching« und die Anwendung der im Hip-Hop verbreiteten Mixing-Techniken. Sie gibt sogar an, dass es ihr gerade um »ganz harte Cuts« ging. Technisch nutzt sie dabei zunächst vor allem das klassische Setup: Plattenspieler der Marke Technics (Das Modell 1210 mk2) mit einem dazwischen geschalteten kleinen Mischpult, dem Mixer.

Ich habe jahrelang meine Vorbereitung eigentlich nur mit einem Plattenspieler gemacht, weil ich einfach wissen wollte, was ich spiele und die auch so gegeneinander gesetzt habe, so ganz harte Cuts gemacht habe oder teilweise, wenn sich das angeboten hat, so Übergänge, also wenn dann etwas ohne Beat aufhörte und wo man dann leicht mit einem Beat reinkommen konnte, wirklich die Beats zu matchen, die auch gar nicht teilweise zu matchen waren. [...] also diese Manipulation der Stücke, das wollte ich gar nicht. Ich wollte die Stücke so präsentieren wie so Objekte. Ja, das war Ende der 90er-Jahre und da war mein Medium tatsächlich also zwei Turntables, Mixer, also so habe ich dann beim Auflegen die Sachen geübt oder sie einfach präsentiert […]

Die Behandlung der Stücke als »Objekte« führt sie an anderer Stelle im Interview noch ein mal aus:

Als DJ Femalemacho trifft Suermann mit ihrer Art des Auflegens und der von ihr gespielten Musik oft den Geschmack vor allem des Berliner Publikums, dass auch zu »distored beats« tanzen könne – so legt sie auch im legendären Cookies auf. Suermann handelt dabei auch an anderer Stelle entgegen der »Konventionen« des DJings. So berichtet sie, dass sie z. B. exakt die gleichen Songs hintereinander auflegt hat und dies beim Publikum auch gut aufgenommen wurde. Auch legt sie im Vornherein relativ wenig fest und stellt ihren eigenen Stil, ihre Erinnerungen in den Vordergrund:

Das bereite ich vor, aber ich mache nie, das ist aber auch so mein Ding, dass ich sehr intuitiv und spontan auflege. Ich lege nie eine Reihenfolge fest. […] Der Trick oder das, was mich ausmacht, ist einfach mein Geschmack in dem Moment. Mein Ohr. Mein Gefühl. Meine Vergangenheit. Jeder Track, jede Musik, die ich jemals gehört habe, beeinflusst mich ja, ohne, dass ich das in dem Moment weiß. Alles, wozu ich schon mal getanzt habe. Ich bin froh, dass ich so Sachen kann wie jetzt zum Beispiel loopen [...] Also ich habe halt […] meine Musiklibrary in meinem System, in meinem brain, in meiner Seele, deswegen würde ich zusammenfassen, würde da sagen, in meinem System, da poppen halt Klänge, Rhythms, Beats, Loops auf, während ich spiele, von denen ich denke: Die treiben mich jetzt zum nächsten. Ja so, also so offen ist das schon immer. Also dass ich, deswegen lege ich die Reihenfolge nicht fest.

Speichermedien und sammellogik

Suermann erzählt immer wieder von ihrem besonderen Zugang zu Speichermedien wie der Schallplatte und wie diese mit persönlichen Erinnerungen und ihrem – unter anderem durch ihre Tätigkeit als Kostümbildnerin beeinflussten – Hang zum Visuellen geprägt sind. So hat sie lange Zeit Platten vor allem nach ihrem Cover ausgesucht und oft erst in Nachhinein geschaut, ob sich dies in ihre DJ-Sets einbinden ließen:

für mich [haben, AvK] das visuelle Design und Musik immer sehr eng zusammen gehört und so habe ich auch aufgelegt. Ich habe mir teilweise auch Platten gekauft, deren Cover ich gut fand und habe dann versucht, die Musik unterzubringen oder gut zu finden oder herauszufinden, was daran gut sein könnte.

Als Beispiel nennt sie ein bekanntes Album des Elektronik-Künstlers Aphex Twin:

Dieses Come to Daddy zum Beispiel. Also ich meine, da sind die Visuals so stark, das kann man, wenn man weiß, beides gar nicht trennen.

Das konnte allerdings auch dazu führen, dass einige Titel wirklich eher als »Objekt« gekauft wurden und später wieder aussortiert wurden:

Ja. Ich glaube, das war auch eher mal so eine Punk-Single, wo das Cover dann so schön war und da drauf immer nur eines der ewig gleichen Geschrammel waren. Ich habe da irgendwann mal Singles auch einfach nur verschenkt, weil auf dem Cover irgendwas drauf war, was ich lustig fand oder passend zu der, so als Objekt. Das gibt es auch. Platten oder Singles, die dann einfach ein Objekt war.

Aber dieser visuelle Zugang diente für Suermann auch als praktische Hilfe beim Auflegen:

Also wenn ich aufgelegt habe mit Platten, habe ich hier diese Kisten oder meinen Plattenkoffer und habe meine, habe die Platten hier und ich gehe hier ganz schnell durch […] und ziehe die Hülle schnell raus, weil ich weiß, das ist, hier ist das Stück drin und ich habe nicht so sehr genau drauf geachtet, was ich jetzt hier spiele, also ich weiß, das ist die Platte [XY]. Aber ich habe mir zum Beispiel den Namen des Albums jetzt nicht gemerkt, sondern ich habe mir nur das Plattencover gemerkt. So meinte ich das dann, dass ich dann visuell danach gegangen bin. Dass ganz schnell Plattencover und hier Nummer 4, das habe ich mir meistens auf der Platte markiert oder einen Punkt gemacht, welche Seite, weil es teilweise auch einfach ganz praktsche Gründe hat, dass es dunkel war und ich dann vielleicht auch aufgeregt bin, meine Sicht eingeschränkt ist und ich das dann schnell finden konnte und wenn mich dann jemand gefragt hat, welcher Track ist das gerade, wusste ich das manchmal nicht, weil ich einfach nur wusste, das ist das Album.

Allerdings etablierte sich – so führt Suermann weiter aus – mit der Etablierung des Mixens und der elektronischen Tanzmusik auch die Forderung, dass aufwendig gestaltete Plattenhüllen gerade beim Auflegen eher hinderlich seien:

Wo es dann auch schon fast eher genervt hat, wenn die Plattencover zu aufwendig gestaltet wurden oder die Hüllen, also wo du nicht reingreifen konntest, wo du erstmal etwas wegmachen musst oder so ein Effekt, das wollte man dann beim Auflegen natürlich nicht. Da willst du einfach schnell an deine Platte kommen.

Sehr spät, Anfang der 2010er-Jahre, beginnt Heike Suermann auch, digitale Hardware beim Auflegen zu nutzen, und mit DJ-Software zu arbeiten. Doch die Vinyl bleibt dabei relevant, nicht zuletzt, da bestimmte Künstler*innen und Alben eng mit dem Speichermedium verbunden scheinen:

Doch nicht nur in Bezug auf die Musik, die gespielt wird ist Digital »anders«. Es eröffnet Suermann, die nie eine musikalische Ausbildung erhalten hat, auch einen besonderen Zugang zu ihrem Material, ermöglichen doch Programme wie Traktor die automatische Erfassung von BPM, die dabei helfen, zueinander passende Stücke zu finden, die leicht ineinander gemischt werden können. Dadurch wurde auch für Suermann das Mixing und spezielle Techniken interessant:

Irgendwann mal digital angekommen, was auch toll ist, hätte ich gar nicht so gedacht, weil mich jetzt das Mixing auch mehr interessiert, weil ich mehr Zugang dadurch habe. Also ich habe eine BPM-Zahl, die ich überprüfen kann, weil ich nicht unbedingt, also ich habe kein besonderes Gehör. Ich habe ein besonderes Interesse und eine besondere Liebe, aber ich habe ein ganz normales Gehör, also ich höre nicht gut: Das sind so und so viele BPMs. Ich höre schon, was schneller oder langsamer ist, aber es […] macht mir Mühe, die Sachen so auseinander zu halten und das ist natürlich mit Traktor zum Beispiel, mit so einer DJ-Software kannst du dir dort Sachen angucken. Du siehst auch die Soundwaves.

Technisch realisiert das Suermann über den Gebrauch eines sogenannten Kontrollers, einer digitalen Version des herkömmlichen DJ-Mixers. Eingebunden ist dabei auch der Laptop, an dem die Tracks ausgewählt werden können. Dadurch verfügt Suermann auch über ein sehr minimalistisches Reiseset, mit dem sie – gerade bei kleinen Auftrittsorten oder international – flexibler ist:

Ich habe einen Controller. Mit dem kannst du dann zwischen deinen Kanälen hin- und herswitchen und du kannst wie, der macht das Mischpult nach, was ich kenne. Also Bässe, Höhen und so weiter. Ich habe auch mich für einen ganz minimalen Controller entschieden, der kaum Effekte hat. Aber das wird sich vielleicht ändern. Achso, genau, also dein Laptop, da hast du deine in iTunes zum Beispiel deine ganzen Tracks, die siehst du dann im Programm Traktor und kannst dann auf alle Tracks zugreifen und du hast das Display, du kannst dann zwischen zwei Kanälen wählen […] also ein superminimales Set […] Nur ein Filter und dann verbinde ich mich mit einfach einem Chinch-Kabel mit einer Aktivbox, das würde in dem Fall reichen.

Abb. 3: Z-1 Kontroller.
Foto: Alan van Keeken

Im Digitalen kommt ein weiterer Vorteil zum Tragen. So verwendet Suermann einen USB-Stick um z. B. mit den oft vorhandenen Pioneer CDjays zu arbeiten. Diese Apparate kamen in den späten 1990er-Jahren auf und zählen zu den CD- und Digitalmischpulten, die am weitesten verbreitet sind. Sie ermöglichen die Applizierung von Effekten, die auch mit Platten möglich sind und bieten häufig auch die Darstellung von Soundwaves, also der Live-Ansicht der Wellenformen der laufenden Tracks an.

Also dann habe ich zusätzlich meinen Stick, den ich dabeihabe. Und ich könnte natürlich noch so wie ich auflege super gerne mit CDjays auflegen, das mache ich einfach nicht, weil ich die nicht habe. Weil das ist immer noch eine super krasse Investition, also alles in allem ist das glaube ich mindestens 6.000€ oder so. Also wenn du CDjays, die kosten glaube ich schon um die 2.000, also die, die man dann braucht, die auch club-kompatibel sind.

Im Digitalen befindet sich zudem eine Ordnerstruktur, die ihre Erinnerung repräsentiert und ihr – trotz einiger Vorbereitung – die Möglichkeit gibt, sehr spontan reagieren zu können:

Ich greife auf meine Musikbibliothek zu, die ich vorher angelegt habe und arbeite dann mit einem Ordner, den ich für diesen bestimmten Event anlege, nenne ihn entweder nach dem Clubnamen. […] Und da schmeiße ich dann vorab schon mal alles rein, was ich denke, was ich brauche an dem Abend. Nichtsdestotrotz habe ich ja auch den Zugang zu anderen Ordnern. Auf einmal denke ich: Woah ne, ich muss da mal gucken. […] Und manchmal, es gibt selten den Fall, das kann aber manchmal sein, dass ich so eine weite Range habe, dass ich dann wirklich aus allen Ordnern, also dass ich wirklich dann echt nochmal so einen 80er-Jahre-Track mit anderen Sachen, mit Sachen von heute, von 2021 oder von 90er, das kann manchmal auch passieren.

Suermann reflektiert im Laufe des Interviews auch ihr Verhältnis zum Technischen und warum sie lange kein Interesse an den diesen Aspekten des Auflegens gezeigt hat. Sie bezeichnet es als eine Art von unhinterfragtem »Respekt«. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte aber auch ihre Sozialisation in einem (klein)bürgerlichen Haushalt. Dies verdeutlicht noch mal die Rolle der »Investition« in die notwendige Technik:

Also dieser Respekt, diese Distanz ist, weil ich es vielleicht nicht gesehen habe. So. Ich glaube, das ist mir selber, weil ich das zu mir nicht zugeordnet habe. Eher nur als Ausnahme. Aber ich bin ja gar keine Ausnahme. Das ist vielleicht nochmal so ein ganz guter Punkt, genau. Ich weiß, dass es die Ausnahmen gibt. Ich selber bin aber keine Ausnahme, ich bin aber so und dann ist das vielleicht ein bisschen, dann habe ich mich dem angeblich normalen Pfad wieder gewidmet. Dann so zeitverzögert mich dann doch zu trauen oder dafür zu interessieren und dann diesen Schritt zu gehen, das selber zu besitzen und das selber zu kaufen, das hat aber vielleicht auch nochmal weniger mit dem Gender zu tun, als vielleicht einfach auch, wie ich aufgewachsen bin, dafür gibt man kein Geld aus. Das kommt jetzt nochmal ganz krass die Klasse rein. Da bin ich auch in so eine Grube gefallen. Bin ich auch mit einem Arm raushänge oder mich hochziehen kann, muss die Kraft noch dafür aufbringen. Ja, diese beiden Sachen zusammen haben es vielleicht mich nicht trauen lassen, dann darin zu investieren.

Obgleich sie heute die »Vorbilder« kennt betont sie jedoch auch, dass es einfach wenige Produzent*innen und weibliche DJs gab und gibt und dies auch eine Rolle bei ihrem zögerlichen Zugehen auf die technische Seite des Auflegens bedeutet habe:

Das ist jetzt nicht mehr so weit weg für mich, wie es früher war. Es gibt immer noch ein großes Ungleichgewicht in der Produktion, das auch nicht unbedingt so sein muss. Aber es ist halt so. Ich selber kann es von mir sagen. Ich habe einfach Respekt vor den Sachen oder Angst oder habe nicht die Vorbilder gehabt, habe es mir zu wenig zugetraut oder eine Mischung von allem und das kostet mich immer noch große Überwindung, da über meinen vermeintlichen Schatten zu springen.

Doch seit geraumer Zeit schwindet dieser Respekt. Suermann hat sich z. B. das Dejaying mit dem CDjay-System von der Künstlerin Ena Lind beibringen lassen, die spezielle Kurse für Frauen anbietet. Auch reflektiert sie ihr Verhältnis zum Technischen vor dem Hintergrund, dass sie in jüngster Zeit angefangen hat, mit einem Freund »DJ Femalemacho-Tracks« zu produzieren:

Ich habe jetzt mit jemandem, der sehr gut produzieren kann,angefangen einen Female-Macho-Track zu produzieren. Ich habe es selber nicht produziert, aber ich habe Sachen vorgegeben oder sitze dann mit ihm und sage ihm, was ich mag und was ich nicht mag und welchen Beat ich mag und welchen Beat ich nicht mag.

DAS INTERVIEW WURDE GEFÜHRT VON ALAN VAN KEEKEN.

Abbildungen

Abb. 1: Koffer mit Tapes. Alan van Keeken.
Abb. 2: DJ Pult DJ Femalemacho. Alan van Keeken.
Abb. 3: Z-1 Kontroller. Alan van Keeken.