Foto: Christina Dörfling
Gudrun Bernkopf wird am 4.11.1941 in der Nähe von Gotha geboren. Musik spielt in ihrem Leben nur eine nebensächliche Rolle. Als Schülerin singt sie im »Montagschor«, der für unmusikalische aber fleißige Kinder an ihrer Schule gegründet wird. Ab und an hört sie Radio über einen alten Volksempfänger. Nach ihrem Mittelschulabschluss beginnt sie 1959 eine Lehre zur Off-Set-Retuscheurin, wie der Beruf der Lithografin in der DDR hieß. Nach zweijähriger Absolvierung der Berufs- und Betriebsberufsschule in Pößneck, fertigt sie ab Herbst 1961 im volkseigenen Betrieb (VEB) Gotha Druck »Ernst Thälmann« Druckvorlagen für Verpackungen und Kartonagen aller Art an. Sie wird noch bis zu ihrer Berentung 2002 in diesem Betrieb arbeiten. Anfang der 1970er-Jahre fällt eine neuartige Produktgattung in ihren Aufgabenbereich: Plattencover.
Das Interview ist in drei Abschnitte geteilt. Sie können es mithilfe der Buttons entweder chronologisch oder thematisch lesen.
Dass Gudrun Bernkopf im September 1959 ihre Lehre im VEB Gotha Druck antreten kann, ist einem Zufall zu verdanken, denn eigentlich ist kein Ausbildungsplatz mehr frei. Als eine Auszubildende kurzfristig ablehnt, übernimmt sie deren Platz. Ihr Vater, der nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst als Telefonist, später als Mustermacher für Verpackungen dort arbeitet, hatte sie auf die Idee gebracht, Off-Set-Retuscheurin zu werden, da sie gern zeichnet. Nach zweijähriger Ausbildung in der Betriebsberufsschule Pößneck für Lehrberufe der Druckindustrie, beginnt sie im Herbst 1961 ihren Dienst als Off-Set-Retuscheurin. Schallplattenhüllen sind zunächst nicht Teil des Arbeitsalltags.
Lizenzplatten, also Veröffentlichungen westlicher Musik gegen Gebühr durch Amiga in vorab festgelegten kleinen Auflagen, werden an Mitarbeiter*innen Gotha Drucks fortan bevorzugt vergeben.
Die (LPs) waren ja heiß begehrt. Da war ja das ganze Umfeld, die halbe Stadt wusste, ›oh die in Gotha Druck, die kriegen alle Schallplatten.‹ Und da gab es schon einen richtigen Kampf. Aber das war nicht so, dass wir alle alles gekriegt haben. Da hieß es, der Betrieb […], die Abteilung kriegen so und so viel, aber ihr müsst euch einig werden. Da hat dann in der Abteilung einer eine Liste gemacht, wir waren ungefähr 20, 22 mit Montage und Kopie. Und wenn dann nun Udo Lindenberg kam oder irgendjemand, dann hatten wir vielleicht für 10, 12 [Personen] Lindenberg [LPs], das andere war irgendjemand anders. »Die ersten auf der Liste kriegen heute Lindenberg und die anderen müssen die andere nehmen.« Manchmal gab es auch drei Schallplatten. Das war meistens so Halbe-Halbe. Beim nächsten Mal [wurde] umgedreht, dann kamen die Letzten dran. Manche haben dann gesagt, ach ich will die nicht, du kannst die haben und dann haben wir das unter uns gemacht.
Die Aufgabe der Mitarbeiter*innen des VEB Gotha Druck bestand darin, die Schallplattenhüllen für die VEB Deutsche Schallplatten Berlin zu bedrucken. Die Entwürfe wurden von Grafiker*innen geliefert und mittels Off-Set-Druck, also indirektem Flachdruck, realisiert. Gudrun Bernkopf war in diesem Prozess für die Retusche zuständig. Dass sie ihr Handwerk eigentlich an Buch und Werbezetteln gelernt hatte, stellte für sie keine Herausforderung dar: »Wenn man das einmal gelernt hat, ist es egal, was man macht, ob Schallplatte oder Bücher.«
Herausfordernd waren allerdings die begrenzten technischen Möglichkeiten, mit denen ihr Arbeitsplatz ausgestatte war. Beim Rasterdruckverfahren werden vier Farben, Gelb, Blau, Rot und Schwarz, nacheinander gedruckt. In Gotha wurde dieses Verfahren bis zum Schluss rein mechanisch realisiert – ein langwieriger Prozess.
Der Drucker hatte meistens auch viel zu drucken, von jedem sammelt er dann, ›Heute druck ich nur rot, morgen dann blau drauf.‹ Das musste dann einen Tag liegen damit er die nächste Farbe drauf drucken kann. Und deswegen hat das auch alles so lange gedauert.
Insbesondere im Vergleich mit der westdeutschen Schallplattenproduktion fällt den Mitarbeiter*innen in Gotha auf, dass ihre Technik nicht dem neuesten Stand entspricht. Das ändert sich erst Ende der 1980er-Jahre.
Wir haben uns immer nur gefragt wieso können die das? Die Veranstaltung war am Wochenende und am nächsten Tag, zwei Tage später war die Schallplatte auf dem Markt. Wie machen die die Retusche? Das war für uns unerklärlich, das ging gar nicht. Das dauert doch so lange, aber die hatten ihre Scanner schon. Deswegen haben die [VEB Deutsche Schallplatten] dann auch nach neuer Technik gesucht. […] ›Wir wollen unsere Schallplatten gedruckt haben, und dann müssen wir was dafür tun.‹ […] Wir haben noch vor der Wende [neue Technik erhalten]. Das hat sich aber über Jahre hingezogen, die wollten die moderne Technik – Scanner, was drüben alles schon vorhanden war, aber hier nicht. Es gab dann die großen Druckereien, die Bezirksstädte, die Parteidruckereien, die hatten solche Scanner. Und unser Meister ist dann zur Messe gefahren, hat sich da erkundigt […] und da unser Betrieb ja das Geld nicht hatte – Valuta‑Mark – hat uns das die Deutsche Schallplattenindustrie vorgestreckt, denn wir mussten ja für die arbeiten. Ich glaube das hat über eine Million gekostet. Und die haben uns das Geld auch dafür gegeben und da konnte dann die Technik eingekauft werden. Zur Wendezeit sind wir eingewiesen worden. Techniker waren da, die die Geräte aufgebaut haben [und ein] Instrukteur, der uns das alles erst mal beibrachte […] Computer hat bis dahin keiner gesehen gehabt von uns. […] Schallplatten haben wir ja dann nicht mehr gemacht; zum Schluss waren noch so ein paar Kassetten, so kleine, das waren dann aber meistens Kindersachen so bunte Kassettenbilderchen, und ja: das war dann eigentlich die Wende. Da wurde alles anders und wir mussten das alles erst einmal lernen.
Die Investition des DDR-Labels floss allerdings nicht nur in Technologie, sondern auch in Arbeitsbedarf aus Westdeutschland.
[D]ie ganze Technik hat wohl nicht so viel gekostet, und da war Geld übrig, und dann konnte unser Betrieb, oder unser Meister, noch was kaufen. […] Pinsel hatten wir eigentlich immer, das waren immer gute Marderhaarpinsel. Wir hatten Lineale, Metalllineale, Metallwinkel. Hier dieser Fadenzähler, das ist, glaube ich, so ein West-Exemplar. Und Klebestreifen: Tesafilm, wir mussten ja auch Klebstreifen haben. […] die kleinen Rollen hatten wir. Das kam im Lager an und da sind schon mal etliche verschwunden.
Tatsächlich angewiesen war der Betrieb nach Gudrun Bernkopfs Auffassung allerdings nicht auf westliche Ausstattung: »Wenn es irgendwas nicht gegeben hat, dann haben wir es erfunden. Da haben wir eben irgendwas konstruiert. […] Und das ging immer irgendwie.«
Selbst Materialreste wurden in Gotha weiterverwendet. Aus LP-Inlets wurden Notizblöcke gebastelt oder auch Brötchentüten: »Die neueren Platten hatten weißes Papier und das Papier lag sogar bei uns in der Kantine zum Brötchen einwickeln. Ja wir haben alles verwertet«.
Weniger verwertungsbewusst waren die Verantwortlichen vom Label aus Berlin, wenn es um (kultur)politische Fragen ging. So erinnert Gudrun Bernkopf, dass beim regelmäßigen Ausmisten der Bestände an Druckvorlagen nicht nur veraltetes Material nicht mehr neu aufgelegter Schallplatten entsorgt wurde. In diesem Zusammenhang erfuhr sie auch von der Ausbürgerung Manfred Krugs.
Und dann kam, ich weiß nicht, ob das einmal im Jahr oder so vielleicht alle paar Jahre, kam dann; - ich glaub, das war der Produktionsleiter von der Schallplatte [VEB Deutsche Schallplatten], zu uns, und hat dann ausgemistet: Schallplatten die uralt waren. Wir hatten ein großes Regal, da waren die Filme gespeichert oder gesammelt, in Mappen. Der wusste, was noch aktuell ist und was nicht, das wird aussortiert. Da kam ein großer Container, er hat da alles reingeschmissen, so große Mappen, und da lagen die ganzen Filme drin, die dann für den Druck gebraucht werden. Als Manfred Krug nach dem Westen ist, das hat sich ja bei uns noch gar nicht so rumgesprochen, kam er auch – Manfred Krug – in den Container rein. ›Was? Krug?‹ ›Ja, brauchen wir nicht mehr.‹ Das kam dann alles weg.
Wie begehrenswert popkulturelle Dinge in der DDR waren, mussten auch die Mitarbeiter*innen von Gotha Druck lernen, als sie eines Tages einen Diebstahl bemerkten:
Da hatten wir Heizungsbauer, die haben eine neue Heizung im Betrieb eingebaut […] Da haben die die Filme mitgenommen. Die haben alles durchgewühlt, Lizenzplatten […] Und da haben teilweise ganze Filme gefehlt, ganze Filmsätze, und teilweise nur einzelne Filme. Und irgendwann haben wir das gemerkt, weil wieder ein neuer Auftrag kam, haben wir dann geguckt, Karte rausgesucht, Nummer auch, muss da und da in dem Regal stehen, und da haben wir festgestellt: manche Filme sind weg, und das wurden immer mehr. Die Filme sind alle weg und da haben sie die Heizungsbauer dann gefragt ›Habt ihr die Filme mitgenommen?‹ Die: ›Wir, ja‹. Dann kamen sie wieder, die Filme. Aber das war natürlich ein Ding. Die dachten die könnten das mitnehmen, wird nicht mehr gebraucht. Ja und dann haben sie denen erklärt, dass sie damit eigentlich gar nichts anfangen können mit so einem Film. Nur ein schönes Bild drauf, wahrscheinlich von was weiß ich? Wer gerade aktuell war.
Die Herstellung der Druckmittel erfolgte im VEB Gotha Druck im indirekten Flachdruck, also Off-Set-Verfahren, bei dem es allerdings nicht möglich ist, Halbtöne herzustellen. Aus diesem Grund wird das Bild in einzelne Bildpunkte, sogenannte Raster zerlegt. Es gibt je eigene Raster für die Farben Blau, Rot, Gelb und Schwarz. Durch Kombination der einzelnen Farben im späteren Druck wird es möglich, Helligkeits- und Farbverläufe zu reproduzieren. Jede Farbe wird nacheinander gedruckt. Die einzelnen Punkte können später unter Lupe oder Fadenzähler gesehen werden, wie Gudrun Bernkopf im Interview anhand Jo Kurzwegs Schlager-LP Party an Board (Amiga 1976) erklärt.
Die Schallplattenproduktion – das war, ein uralter Weg. Der Idealfall war ein Farbdia. Von dem hat der Reprofotograf, das war ein Gelernter, eine Aufnahme gemacht. Es werden vier Farben gedruckt und die Farben zusammen ergeben das farbliche Bild. Also da wird eine Aufnahme gemacht und es entstehen Negative – Halbtonnegative – so wie man das aus dem Fotoapparat noch kennt, die werden mit Filtern gemacht, sodass die Farben herausgefiltert werden. Das wird nie so ideal wie man das gerne hätte. […] Dann fragt er [der Reprofotograf] uns: »Bist du einverstanden?« und […] dann kriegen wir die Negative, und von den Negativen müssen wir Rasterpositive machen. Jedes gedruckte Bild hat ein Raster […] Also ein Bild wird in Punkte zerlegt. Den Halbton kann man nicht drucken […] Jede Farbe hat eine Rasterwinkelung, damit das, wenn das später übereinander gedruckt wird, ein harmonisches Bild gibt. Da gibt es für jede Farbe dann eine Rasterfolie, die schon ihre Winkelung hat. Schwarz zum Beispiel […] die Tiefe. Das Schwarz kann ja auch ein Braun sein oder ein dunkles Blau, was dem Bild die Tiefe gibt, den Kontrast. […] Schwarz wird 45 Grad gewinkelt und das Rot war 15 Grad, Gelb 0 Grad und Blau 75 Grad. Wir druckten 60er Raster im Off-Set […] das sind auf den Zentimeter 60 Rasterpunkte. […] Ganz feine Drucksachen werden im 80er gedruckt, aber das ist selten, das ist ein Kunstwerk oder so.
Zunächst wurden die Druckvorlagen auf dem »langen Weg« vorbereitet.
Wir haben viele Opernschallplatten gemacht […] und das waren oftmals Bühnenbilder, Vorhang und Bühne voll Sänger. Die Schallplatten haben wir noch über den langen Weg [gemacht], also wir hatten ein Aufnahmenegativ, [in das] konnten wir mit Graphitstift, mit einem weichen Bleistift reinarbeiten; Faltenwürfe und so, weil ja durch das Rastern Tonwerte verloren gegangen sind. Und damit das noch einigermaßen scharf ist […] haben wir dann ein Halbtonpositiv gemacht. Und dann haben wir alles mit Graphit nachgearbeitet, das ganze Bild nachgezeichnet: Faltenwürfe, die Vorhänge, Bühnenvorhänge mit Graphit verstärkt […] jedes Ding nachgezeichnet, die Augen und so, das wirkt dann aber auch entstellt.
Allerdings ist diese Form der Druckvorbereitung sehr langwierig, weswegen später der »kurze Weg« genutzt wird.
Wir sind ja in all den Jahren von ‘63 oder so immer wieder einen neuen Weg gegangen. Und der alte Weg […] mit Halbtonnegativen, Halbtonpositiv, [d]as haben wir dann sein gelassen. Wir haben dann die Halbtonnegativ – das war die Aufnahme vom Fotografen – etwas bearbeitet, ist aber riskant: wenn da etwas passiert, dann ist der Film hin und der Fotograf muss das nochmal machen. Also lieber Finger davonlassen und Rasterpositiv machen. Rasterfolie, Halbtonfilm drauf und dann Positivrasterfilm. So ist der richtige Weg; so sind all die Schallplatten – die letzten – gemacht worden
Die Bildbearbeitung erfolgte rein manuell und nach Bauchgefühl, denn so Gudrun Bernkopf: »Man hat keinen Anhaltspunkt gehabt, dass man sagen konnte so viel Rot- und Blauanteile, das ist alles Gefühlssache, das war wie Blindflug.«
Als Off-Set-Retuscheurin war sie für eben jene komplizierte Bearbeitung der Druckvorlagen mittels Chemikalien zuständig.
Unsere Arbeit bestand darin, die Positivfilme zu ätzen. So die Farbtöne [hinkriegen], dass der Himmel nicht zu grün oder rötlich wird. […]. Das ist alles nur sehr begrenzt, also man kann im Negativ etwas ätzen, was man da wegnimmt, dann wird es ja heller, dann wird’s im Positiv dunkler. Oder man macht dann noch einmal ein Positiv und kopiert das nochmal um, nochmal Negativ, nochmal Positiv. Aber je mehr rumkopiert wird, also wieder Negativ, wieder Positiv, umso mehr geht dann verloren an Zeichnung und so. […] Blutlaugensalz nehmen die Silberschicht weg, da muss man dann natürlich aufpassen, dass man nicht zu viel und nicht zu stark die Ätze verwendet, denn dann ist alles weg […]. Fensterleder, oder Schwamm, abtupfen, dann wurde das ein bisschen trocken und die Ätze ist nicht so gelaufen. Das war enger begrenzt […] Natron stoppt den Ätzvorgang.
Damit beim späteren
Druckergebnisse, Farben und Helligkeiten möglichst originalnah wiedergegeben
werden, mussten die Off-Set-Retuscheurinnen in der Bearbeitung der einzelnen Raster
entscheiden, wie die vier Farben in einem bestimmten Bildbereich jeweils
verteilt sein sollen:
Man hat keine Anhaltspunkte, man hat kein Maß, höchstens eine Farbtabelle, nach der man gehen kann. Da kann man 10 Jahre da arbeiten, da hat man noch nicht alles durch, und das kommt so nach und nach. Manche lernen das nicht, weil die Farben nur nach Prozenten gehen und dann heißt es: Gelb 100 Prozent, also Fläche, voll und so und so viel Prozent Rot brauche ich, hier brauche ich vielleicht 5-10 Prozent und hier 30, 40 Prozent. Das muss ich dann beachten, wenn ich ätzen will. Die Aufnahme, das Negativ bringt das ja nicht so kontrastreich, also muss ich das mit meiner Ätze/Pinsel entsprechend wegnehmen, und wenn ich dann merke, es ist noch nicht, kann ich ein bisschen was am Negativ ätzen. Aber was für ein Negativ? Wir haben ja erst Halbtonnegativ, positives Rasterbild, und dann, wenn die Schrift noch einmal zusammen kopiert wird, hab ich dann ein Rasternegativ wieder. Es ist ein Hin und Her.
Falls doch einmal zu viel am Bild weggeätzt wurde, kam Zyankali aus dem Giftschrank zum Einsatz.
Und da gab es dann aber einen Trick, wir haben mit Zyankali gearbeitet. […] Wattebausch, Zyankali drüber, und das hat sich wiederaufgebaut. Da gab es extra einen Giftschrank und ein Kollege hatte das also, da ist nicht jeder rangekommen. Aber gut gerochen hat Zyankali nach Mandel. […] Das war das Alleräußerste, was man machen konnte.
Nachdem die einzelnen Druckvorlagen vorbereitet waren, wurden sie montiert und gedruckt.
Und dann musste ja jede Farbe übereinander montiert werden und das muss passen. Da hat er [Fotograf] dann Passkreuze […] gezeichnet und vervielfältigt. Und dann wussten wir, wo das Bild hinkam. […] Der fertige Film kommt in die Kopie; Druckplatten, die wurden auch chemisch beschichtet und belichtet. […] Jetzt ist das auch nicht mehr so, […] ich weiß nicht, woraus jetzt die Druckplatten sind. Früher waren es Zinkplatten, richtig starre Zinkplatten, und die mussten dann auch wieder geschliffen werden mit Porzellankugeln. […] Es wurden ja dann Probedrucke gemacht, […] um zu sehen, ob die Farben stimmen. […] Das Blau war, glaube ich, immer die erste Farbe, dann Rot und dann Gelb, da hat man dann schon ein bisschen was gesehen, und zum Schluss das Schwarze drauf. Und das jede Farbe ein Tag, […] für eine Schallplatte einen ganzen Monat fast.
Wenn die Probedrucke massive Fehlstellen aufwiesen, mussten die Off-Set-Reutscheurinnen mit feinen Pinseln die Raster säubern oder sogar mit Schabern nacharbeiten.
Gudrun Bernkopf erinnert sich weder an ihre erste, noch an die letzte Platte, die sie bearbeitet hat. Woran sie sich allerdings erinnert, sind schwierige Fälle, sowohl was die Bearbeitung als auch Kritik angeht. Besonders ungern erinnert sie sich an Johann Sebastian Bach.
Ich weiß, manche waren schwierig. Zum Beispiel waren die Bachschallplatten und das waren dann immer die Farben… Das waren Bauwerke, so Sandstein; wie Sandstein so ist, mal ein bisschen gelblich und dann waren so Säulen, 5 % Punktgröße, oder bis 10 %, das ist ja dann schon wieder nicht mehr Sandstein, das ist schon entweder zu Gelb oder zu Rot und dann kam der Probedruck. Ach, es fehlt wieder was, nochmal ein bisschen ätzen, nochmal mehr machen und nochmal ein bisschen ätzen und dann hat der Sandstein noch nicht gestimmt, da kann man verzweifeln!
Ein besonderer Auftrag war auch die Vorbereitung eines Cover-Bildes der Schauspielerin Gisela May, bei der eine ihrer Kolleginnen »kriminell« wurde.
Ich glaube, hat die [Gisela May] gestanden oder gesessen? Irgend so einen engen Rock hatte sie an, da hat man den Bauch so ein bisschen gesehen, den wollte sie, glaube ich, weghaben. Es war ein Hintergrund da; irgendwie so seitlich, und wenn man so eine kleine Wölbung sieht, dann muss man im Negativ schon mal was ätzen, dass der Hintergrund dahin kommt wo ihr Bauch ist. Das ist aber auch so das Einzige was ich da so kriminell weiß. Also später, am Scanner wurden ganz andere Sachen gemacht.
Beizeiten waren die Musiker*innen nicht zufrieden, mit den Hüllenbildern und taten ihre Unmut kund. Gudrun Bernkopf erinnert sich in dem Zusammenhang vor allem an den Besuch des Komponisten und Volksmusikinterpreten Herbert Roth.
Herbert Roth, die [Schallplatte] hab ich nicht gemacht, aber ich weiß: Er saß da mit seiner Gruppe auf einem Pferdeschlitten im Winter und er hatte eine dunkelblaue Silastik Keilhose an. Und da kam er dann später mal in den Betrieb und hat sich beschwert. Er kam in die Verwaltung zur Auftragsbearbeitung und mein Meister war da grad hin – wir hatten so eine Baracke außerhalb von unserem Betrieb –, und mein Abteilungsleiter war da auch gerade zugegen, oder ob er gerufen wurde – ich weiß es nicht mehr. Und da hat sich Herbert Roth beschwert, dass wir seine Hose so versaut hätten. Ob das nun sein Grund war [nach Gotha zu kommen] oder ob er nach der Schallplatte gucken wollte, weiß ich jetzt nicht. Aber das hat der Meister dann erzählt. Das war eine Hose, die hat 180 Mark gekostet, und man sieht keine Bügelfalte, es wäre wie eine Trainingshose. Also die Zeichnung war dahin, geb ich ja zu.
Mit ihren eigenen Arbeiten ist Gudrun Bernkopf in der Retrospektive eher unzufrieden.
Ich fand sie dann immer hässlich, nicht gut gemacht, und das hat mir alles nicht mehr gefallen. Wenn man dann so ältere Schallplatten sieht, ach verschwommen und die Farben, das ist ja furchtbar manchmal die Gestaltung auch.
Anhand der Reihe Beliebte Opernchöre erläutert sie ihre Kritik.
Das ist ja nicht schlecht. Das ist ja recht modern gemacht. Die Schrift passt. Wenn das natürlich alles eine schöne Schärfe hätte. Die Farbe ist schlecht hier. Das ist ja dunkel der Hintergrund und die stehen im Vordergrund, aber das ist eine blöde Farbe. Ist auch, nee das Bild gefällt mir nicht. Das ist viel zu groß und das, das ist ja genau in der Mitte.
Mit der Zeit hätte die Qualität der Schallplattenbilder allerdings zugenommen, vor allem gestalterisch:
Die Entwürfe von den Grafikern, die wurden ja immer verrückter und aufwändiger. Am Anfang stand nur ein Name da und fertig. Gestaltung, Schrift und alles das wurde ja dann auch immer professioneller. Es wurde immer moderner und das hat einem dann schon gefallen manches: schöne Schrift, schöne Farben oder eine schöne Landschaft.
Nachdem sie sich viele Jahre mit Schallplattencovern beschäftigt hat, kann sie, gefragt nach den Kriterien für ein gutes Cover, einige Aspekte nennen.
Na, dass die Farben erst einmal passen, und eine Schärfe drin ist. […] Die Gestaltung, [die] Schrift muss gut sein - es gibt manchmal ja vielleicht auch kitschige Schrift, die nicht zum Inhalt passt […] und auf Anhieb vielleicht, dass man weiß, worum es geht, und ein schönes Foto. […] wir haben ja auch alte Gemälde gehabt und die waren manchmal so alte Stiche, Kupferstiche und so konnte man sich so richtig da reinversetzen, in die frühere Zeit, und ja das Foto muss passen.
Als Beispiele für gelungene Hüllendesigns verweist sie auf Bruce Springsteen Born in the USA (Amiga 1986), Herbert Roth und die Kompilation-Reihe Amiga-Cocktail (Amiga, ab 1981 bis 1988).
Typisch, für so eine Schallplatte und für ihn [Bruce Springsteen]. Kommt doch immer in Jeanshose oder so. Ja, oder Herbert Roth auf seinem Schlitten im Winter, wenn sie da gesungen haben […] zum Thema muss es passen. Oder Amiga-Cocktail,das waren dann immer die Schallplatten, die nach so einer Großveranstaltung kamen. […] Alles Sänger, Tschechien und wo sie alle herkamen, und da waren dann immer die kleinen Bilder dazu, wer alles mitgesungen hat, ob Chris Doerk oder Frank Schöbel. […] Eine Schrift, recht kompliziert meistens, in den letzten Jahren wurden die immer größer und bunter und das passte eben dann auch dazu. Schärfe, ein schönes Bild, ein schönes Foto, manchmal waren es Landschaften die auch passten, schöne Gemälde, Kupferstiche passte ja auch zur Klassik. Wie gesagt: die Gestaltung, Farbe, Schärfe.
DAS INTERVIEW WURDE GEFÜHRT VON CHRISTINA DÖRFLING.
Abbildungen
Abb. 1: Off-Set-Retuscheurinnen Elke Britschin und Gudrun Bernkopf. Uta Kypke.
Abb. 2: Zeitungsartikel 3.3.1971. Privatarchiv Bernkopf.
Abb. 3: Raster. Wikimedia Commons.
Abb. 4: Rasterpositiv-negativ. Wikimedia Commons.
Abb. 5: Bach 1975.
Abb. 6: Gisela May 1968.
Abb. 7: Gisela May 1980.
Abb. 8: Herbert Roth 1980.
Abb. 9: Herbert Roth 1968.
Abb. 10: Beliebte Opernchöre 1974.
Abb. 11: Beliebte Opernchöre 1974 II.
Abb. 12: Beliebte Opernchöre 1974 III.
Abb. 13: Beliebte Opernchöre IV.
Abb. 14: Bruce Springsteen 1986.
Abb. 15: Amiga-Cocktail 1965-1968 1986.
Abb. 16: Amiga-Cocktail 1981.