Gert REdlich
Sammler

Foto: Jörg Wuttke

Das virtuelle Museum – Sammeln und Ausstellen von Musikobjekten als gesellschaftlicher Auftrag

Zur Person

Gert Redlich wurde 1949 im Harz geboren. Er ist Initiator umfangreicher virtueller Museen wie dem Tonbandmuseum, dem Magnetbandmuseum, dem Fernsehmuseum und dem Hi-Fi-Museum. Besonders im Hi-Fi-Museum sind nicht nur Empfangs-, Speicher- und Wiedergabemedien sowie Hersteller und Fachzeitschriften verzeichnet. Redlich sammelt darüber hinaus Erinnerungen von Zeitzeug*innen, erläutert technikhistorische Zusammenhänge und schildert eigene Erfahrungen mit den Geräten. Die Komplexität der Museumswebsites ist kaum greifbar und illustriert die Hingabe und akribische Arbeit Redlichs. Dieser studierte Hochfrequenztechnik in Rüsselsheim und Nachrichtentechnik in Darmstadt. Daraufhin war er lange Zeit im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung selbstständig. Denn Angestellter sein wollte er nie, wie er erzählt. Seinen beruflichen Werdegang begleitete stets die Faszination für technische Apparate, die bereits in jungen Jahren einsetze und sich über verschiedene biografische Wegmarken festigte.

Das Interview ist in drei Abschnitte geteilt. Sie können es mithilfe der Buttons entweder chronologisch oder thematisch lesen.

WIE ALLEs Begann

Prägende Biografische Stationen

Bereits im Alter von sechs Jahren entdeckt Gert Redlich seine Affinität zu technischen Geräten über den Beruf seines Vaters: Dieser war Kinotechniker.

Diese Faszination als Sechsjähriger, dass man aus diesem kleinen Zelluloid-Bildchen im Kinosaal ein riesengroßes Bild gemacht hat, war so einer der ausschlaggebenden Punkte, dass ich mich für Technik interessiert hatte. Dann gab es einen ganz merkwürdigen Event damals. Ich durfte mit in den Rheingau. Da hat mein Vater ein Kino gebaut und in dem Vorführraum standen zwei unterschiedliche Koffermaschinen […]. Und mir als Bub fiel auf, es sind zwei verschiedene. Das konnte doch nicht sein. Weil es kam ja immer Filmrolle eins, Filmrolle zwei, Filmrolle drei, Filmrolle vier, also die Filmrollen waren ja schön sortiert. ›Papa, wer hat denn dem die alten Dinger verkauft?‹ Bumm. Hatte ich mir eine gefangen. Durfte ein Jahr nicht mehr mit, weil die haben unter einer Decke gesteckt, die Kinobesitzer. Und das war natürlich fatal. Mein Vater hat ihnen die Maschinen zusammengestoppelt aus irgendwelchen alten Beständen, damit das Kino gut laufen konnte. Und der Sohn sagt: ›Was steht denn da für ein Scheiß?‹ Der Sechsjährige (lacht).

Viele weitere Ereignisse, Begegnungen und Entscheidungen sollen folgen, über die sich der Themenkomplex Technik tief in die Biografie von Gert Redlich einschreibt. Auf einer seiner Websites schildert er, wie er ebenfalls im Kontext des Kinos das erste Mal mit einem Tonbandgerät – einem Grundig TK 32 – in Berührung kam. Ein eigenes Tonbandgerät kann sich Redlich als Jugendlicher Mitte der 1960er-Jahre leisten. Später, während seines Praktikums bei der grauen Bundespost, arbeitet er samstags in der Rundfunk- und Tonbandabteilung des Bieberhaus, einem damals großen Elektronikkaufhaus in Frankfurt. Nach einem Jahr beendet er seine Arbeit zugunsten des ​Praktikums. »Aber der Hi-Fi-Virus war eingedrungen, ich war infiziert und zwar unheilbar bis heute mindestens bis 2020« [1]. wie Redlich selbst auf einer seiner Websites schreibt.

Abb. 1: Grundig TK 32.
Foto: TECHNOSEUM Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim[2]

Die verschiedenen Stationen seiner Ausbildung begreift Redlich als prägend. Einige hat er positiv in Erinnerung, andere kritisiert er: »Also die TH Darmstadt war für mich das negative Erlebnis, wie man junge motivierte Leute nicht motiviert.« So hätten es die Dozierenden größtenteils nicht geschafft, ihm Spaß an den Inhalten des Studiums zu vermitteln. Viel von dem, was für ihn später beruflich wichtig wird, eignet er sich demnach selbst an. Nach seinem Studium repariert Redlich bereits Hi-Fi-Geräte, vertreibt Aluminiumgehäuse für Elektronikfirmen oder stattet Diskotheken aus. Anfang der 1980er-Jahre professionalisiert er sich im Bereich Informationstechnik: »Ich habe gemerkt, da tut sich ein Riesenmarkt auf: Mach dich selbstständig und verkaufe Computer.« Über 35 Jahre übt Redlich diese Tätigkeit aus und beginnt in dieser Zeit damit, eigene Websites zu erstellen. Zunächst mit dem Ziel, Aspekte aus dem IT-Bereich für andere verständlich zu machen:

Ich habe also diese Seite ›useddlt‹ mit Frontpage 98 gemacht. Das war damals das Webdesignprogramm, mit dem der normale Mensch gut umgehen konnte. Ich wollte nicht programmieren, ich wollte quasi Text und Bilder, ich habe das fotografiert, wollte Text reinbringen, wollte Bilder reinbringen und habe das für die Leute erklärt, die dann zu uns kamen, um das Ding reparieren zu lassen.

Die Zugänglichkeit dieses digitalen Forums führt dazu, dass sich auch Personen über den Kundenkreis von Redlich hinaus für seine Inhalte interessieren:

Irgendwann hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Es rief um elf Uhr jemand an. Er wollte sich bedanken. Sage ich: ›Wofür?‹ Ja er wäre jetzt zwei Stunden auf meiner Seite gewesen, dieses useddlt, da steht doch immer Redlich unten drunter. Also immer unten auf den Seiten, auf allen Seiten steht hier Copyright by Gert Redlich. Mit Telefon. Er wollte mal anrufen. Sage ich: ›Was war das Besondere?‹ Er hätte um neun seiner Sekretärin gesagt, sie möchte bitte jetzt keinen mehr reinlassen. Kein Gespräch vermitteln. Er ist auf einer Webseite gelandet, die so interessant ist, die guckt er sich jetzt an. Hat er mir erzählt, er hätte noch nie in seinem Leben länger als fünf Minuten auf einer Webseite gesurft. 2003 war das oder 2004.

Abb. 2: Historische Fachzeitschriften.
Foto: Gert Redlich

Musikobjekte SAmmeln, Wissen vermitteln

Gerade die Begegnung mit Zeitzeug*innen ist ihm nicht nur aus eigenem Interesse wichtig, sondern er will gezielt Wissensbestände für zukünftige Generationen festhalten.

Geräte, die zu der Hochzeit ihrer Nutzung sehr kostspielig gewesen sind, finden heute kaum noch Abnehmer*innen. »Langsam werde ich krank, was auf den Müll alles kommt«, beschreibt Redlich. Aber auch für ihn ist die Masse an Geräten, die er geschenkt bekommt, kaum beherrschbar. So versucht er mittlerweile Schenkungen zwar abzulehnen, ganz so leicht ist es aber nicht:

Kommt auf das Alter des Gönners an, der die Spende abgibt. Wenn ich merke, der ist 85, wenn ich sage: ›Ich möchte dein Tonbandgerät nicht haben‹ und er springt aus dem Fenster, habe ich quasi einen Mord am Hals. Weil ich hätte es wissen müssen, dass er das nicht verträgt, ruft halt einer an: ›Guten Tag, ich habe für Sie mein Grundig […] aufgehoben, das habe ich jetzt 60 Jahre lang im Schrank stehen gehabt.‹ […] Sage ich: ›Entschuldigen Sie, Herr Professor, davon gab es 800.000 Stück.‹ ›Neinneinneinnein. Das habe ich von dem ersten Semestergeld verdient und gekauft und das habe ich erst, wie neu.‹ Sage ich: ›Es gab trotzdem 800.000 Stück davon, ich habe schon vier Stück.‹ ›Wie, Sie wollen das nicht haben?‹ Und dann fange ich an zu erklären, dass/ also ich nehme/ das fünfte nehme ich grad noch. ›Ja ich packe es auch gut ein.‹ Sage ich: ›Gut, packen Sie es gut ein.‹ Soll ich sagen: ›Nein‹? Er schmeißt es ja auch weg.

Es geht Redlich somit nicht um den bloßen Ausbau einer aussagekräftigen Sammlung. Zentral sind für ihn die Wertschätzung von Mitmenschen und die Lebenszeit von Dingen zu verlängern. Beide Aspekte ziehen sich als Lebensphilosophie durch Redlichs Schaffen:

Und das ist der Grund, warum ich auch zu jedem Interview bereit bin und versuche, von dieser Philosophie, ›Wir brauchen Freunde‹, so viel wie möglich publiziere. Und die zweite Philosophie: Nicht alles wegwerfen. Aufheben. Honoriert eure Repair-Shops. Schenkt denen Geld. Schenkt denen die Geräte, damit die ihre Arbeit honoriert sehen.

Diese Leitlinien begründet Redlich in seiner Biografie und damit seiner Familiengeschichte, die maßgeblich durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs geprägt ist:

Ihr Vater [Redlichs Großvater, Anm. LMS] war Schneider und schneiderte aus den Stoffresten, die er gefunden hat, seiner bildschönen Tochter die Klamotten. Mutter war stolz. Toll. 1943. Und dann kam das Grauen. Und das habe ich also alles reingeschrieben, was ich also von den Kriegskindern erfahren habe. Und wie Menschen geschädigt sein können, ohne dass man es sieht. In der eigenen Familie […] Auch das gab mir einen gewissen Ansporn, in diesen Museumsseiten überall ein Stückchen Lebensphilosophie mit reinzupacken. Sei es das mit dem Nichtwegwerfen. Sei es das Freundesuchen. Und nicht überall Krieg anfangen. Beim Krieg gibt es nur Verlierer. Ich kenne keinen einzigen Krieg auf dieser Welt [...] bei dem es einen Gewinner gab.

Gesellschaftliche Verantwortung

Durch seine persönlichen Erfahrungen hält Gert Redlich Dankbarkeit für den Komfort der eigenen Lebenssituation und die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung für grundlegend. Dies macht er auch daran fest, dass er für wenig Geld studieren konnte:

Das hat also die Gesellschaft für uns bereitgestellt. Nachdem ich also meinen Berufsweg abgeschlossen hatte, habe ich gesagt: ›Okay, Redlich, was gibst du denn der Gesellschaft zurück? Weil du hast eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Du kannst nicht sagen: Ja, jetzt will ich noch ernten und Rente und ich habe ja Arbeit verdient.‹ Nein. Aus meiner Sicht müsste jeder Bürger in Deutschland auch von dem, was er bekommen hat, was zurückgeben. Mit dem, was er kann.

Er könne weder große Reichtümer noch große Bauwerke zurückgeben, dafür aber Wissen festhalten und vermitteln. Insofern freut es Redlich besonders, wenn beispielsweise alte Kameratechnik eine neue Verwendung als historisches Requisit an Filmsets findet. Er verleiht seine Geräte aber nicht nur, sondern will dazu beitragen, dass sie so glaubhaft wie möglich eingesetzt werden. Dazu benötigt es Praxiswissen, welches in der Gegenwart weniger verbreitet sei:

Habe ich gesagt: ›Passen Sie auf. Wir können zwar einen leichten Job machen. Aber wir wollen hier türken. Wir wollen echt simulieren. Was heißt das? Das heißt, an der Kamera steht ein Kameramann, der guckt mit einem steifen sturen Blick, da oben rein. Auch wenn Sie da nichts sehen. Ich weiß, die Kamera geht gar nicht, die ist aus. Aber Sie gucken dort rein, so […]. Dann hat ein jeder von diesem grauen Fahrgestell, wir nennen es Pumpe, dieses Riesenteil, was drinstand, brauche ich einen Fahrer.‹ ›Hä?‹ Sage ich: ›Ja, der die Pumpe schiebt. Weil die fährt auf Rollen auf der Studioebene hin und her. Und einer muss diese Pumpe schieben. Weil der Kameramann guckt oben nur in seinen Monitor rein und dann brauche ich für jede Kamera noch einen Kabelträger, der nichts weiter macht, als dafür sorgt, dass das rote Kabel nicht unter die Räder kommt.‹ ›Aha. Ja. Haben verstanden.‹

Abb. 3: Der Arbeitsplatz  für die Museumsseiten.
Foto: Gert Redlich

DAS INTERVIEW WURDE GEFÜHRT VON BENJAMIN BURKHART, DEN TEXT VERFASSTE LAURA MARIE STEINHAUS.

Einzelnachweise

[1] http://www.hifimuseum.de/der-autor-gr.html
[2] https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/CT3EZWW5PVLRFR3ZYJAVR7DMD66X4TQR

Abbildungen

Abb. 1: Grundig TK 32. TECHNOSEUM Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim.
Abb. 2: Historische Fachzeitschriften. Gert Redlich.
Abb. 3: Der Arbeitsplatz  für die Museumsseiten. Gert Redlich.